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Eine bunte Palette

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Am 25. März war in Ungarn die Welt für zwölf Stunden in Ord- nung. Von 6 bis 18 Uhr schritten an die 70 Prozent der 7,8 Millionen Wahlbürger mit Würde und Hal- tung zu den Wahllokalen und sie taten es mit einer Routine ohneglei- chen, als hätten sie in den vergan- genen fast 50 Jahren mit einer par- lamentarischen Demokratie gelebt.

Diese elegante Selbstverständ- lichkeit war verblüffend und im- posant zugleich. Sprachlos gewor- dene ausländische Beobachter ver- gaßen prompt ihre Lieblingssprü- che über den Weg „Ungarns nach Europa". Kurznach6Uhr hatdann das „System" die Dominanz über- nommen. Die Computer der Wahl- zentrale waren im Handumdrehen zusammengebrochen und die er- sten annähernd zuverlässigen und einigermaßen auch für die Öffent- lichkeit verständlichen Hochrech- nungen folgten erst 24 Sunden später, obwohl den Experten die von der Verfassung festgesetze Frist abzulaufen drohte.

Die Öffentlichkeit ließ sich da nicht mehr stören. Sie hat die Würfel fallen lassen: „Bitte ihr Parteien, macht euer Spiel". Seit- dem dreht sich das Karussell. Das Delnokratenforum, das mit rund 25 Prozent rechnen kann, will von einem Koalitionspartner Bund frei- er Demokraten mit annähernd 23 Prozent nichts hören. Nicht, daß sich ihre Programme und Zielset- zungen so sehr unterschieden, bei- de sind für die freie Marktwirt- schaft, für den sofortigen Abzug der Sowjettruppen, für durchgrei- fende soziale Maßnahmen zugun- sten der Ärmsten und so weiter, doch die Nähe der Macht berauscht halt.

Sie berauscht freilich auch die Liberalen mit ihrer radikalen Ab- sage an Totalitarismus und Dog- matismus jeder Art. Doch sie wol- len wenigstens endlich Konsequen- zen: Jener korrupten Führungs- schicht in Wirtschaft und Verwal- tung den Garaus machen, die das kommunistische Regime jahrzehn- telang mit allen ihren Protektions- netzen gezüchtet hat. Das leicht ungarisch-national angehauchte, aber immerhin christliche Forum der Mitte will in dieser Hinsicht eher Toleranz walten lassen.

In Wirklichkeit verfügt es aber nicht über die notwendigen Fach- kräfte und tut nun, als wüßte es nicht, daß jedwede weitere westli- che Hilfe wie die zur relativen Sta- bilisierung der vollends ruinierten Wirtschaft notwendigen Anleihen des Internationalen Währungsfonds vollends wertlos sind, wenn sie weiterhin in die Hände jener Para- siten geraten, die die politisch- wirtschaftlichen Reformen bisher auch immer effektiv haben verhin- dern können, weil nicht einmal die Reformregierung Miklös Nemeths es gewagt hat, sich mit ihnen anzu- legen. Nein, es wird Nachsicht ver- kündet und nach einer christlichen Allianz gesucht.

Die Partei der Kleinen Landwir- te mit ihren rund 13 Prozent und die ehrenwerte, aber völlig profil- lose Christlich-Demokratische Volkspartei bieten sich als Partner an, und damit die Palette auch noch bunt genug wird, liebäugelt das Forum sogar mit den Soziali- sten, die sich einer christlichen Allianz gegenüber gern aufge- schlossen zeigen würden. Das Ka- russell dreht sich also - bis zum 8. April ganz bestimmt noch einige Male. Doch da kommt wieder der Bürger zu Wort. Beim zweiten Wahlgang entscheidet er endgültig über seinen persönlichen Kandida- ten für das Parlament. Es wird sich lohnen, den Wähler zu ehren.

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