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Extremhaltungen

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„Zusammenkartätschen diese Kanaille da unten“, knirschte Nestroy durch die Zähne, als die Posse „Nur Ruhe!“ jämmerlich durchfiel und dann nur noch dreimal gegeben werden konnte. Nun, nach 130 Jahren, wird sie im Burgtheater wieder aufgeführt. Das Volkstheater bietet derzeit ebenfalls eine einst durchgefallene Nestroy-Posse; sie kommt da zu vortrefflicher Wirkung. Wie bewähren sich Stück und Wiedergabe im Burgtheater?

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„Zusammenkartätschen diese Kanaille da unten“, knirschte Nestroy durch die Zähne, als die Posse „Nur Ruhe!“ jämmerlich durchfiel und dann nur noch dreimal gegeben werden konnte. Nun, nach 130 Jahren, wird sie im Burgtheater wieder aufgeführt. Das Volkstheater bietet derzeit ebenfalls eine einst durchgefallene Nestroy-Posse; sie kommt da zu vortrefflicher Wirkung. Wie bewähren sich Stück und Wiedergabe im Burgtheater?

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Diese Posse ist auf einen ganz bestimmten Charakter aufgebaut: Der Lederfabrikant Anton Schafgeist will „seine Ruhe“ haben, weshalb er die Fabrik dem Neffen übergibt. Dieser Charakter wird aber nun keineswegs abgeleuchtet, es entsteht keine Charakterkomödie, Schafgeist wiederholt nur immer heftiger seinen Wunsch als er durch das vehemente Erscheinen einer fremden Familie, deren Wagen auf seinem Grund zusammenbrach, turbulent überrumpelt wird. Es ist das somit tatsächlich eine Posse. Und doch etwas mehr: Die Extremhaltung Schafgeists fordert das andere Extrem, die tobende Unruhe, geradezu schicksalshaft heraus.

Es steckt aber auch Kritik in dieser Posse: Das Private läßt sich politisch auffassen, bedenkt man die Situation des Vormärz. Die biedermeierliche, von oben her verordnete Ruhe als Sehnsuchtsziel des schafgeistigen Untertans bedeutet Gefahr, den Einbruch der Kontraposition, der chaotischen Unruhe, ins Politische umgesetzt, der Revolution. Aber es gibt da noch diesen Lederergesellen Rochus Dickfell, die Nestroy-Rolle. Das ist der Typus des eiskalten, zynisch Selbstsüchtigen, der sich jeder Situation hinterhältig gewachsen zeigt und aus dieser Überlegenheit scharfzüngig die Diskrepanz der Welt und ihres Menschengetriebes witzig entblößt. So weit, so gut. Aber nun ist das Stück, um die Unruhe darzutun, mit einer Kriminalhandlung und mit Liebesgeschichten überfüllt, die offenbar aus der Vorlage, angeblich einem französischen Moderoman, allzu getreu übernommen wurden und keineswegs zu packen vermögen. Die Posse sackt da ab.

Was geschieht im Burgtheater? Nestroy-Possen sind gekennzeichnet durch direktes Ansprechen des Publikums in den Couplets, in facettierten allgemeinen Betrachtungen, in den scharfzüngig hintergründigen Witzworten. Das setzt eine intime Beziehung zum Zuschauer voraus. Was soll das auf einer Riesenbühne in einem Riesenhaus? Vollends wird unter der Regie von Rudolf Wessely in großer Aufmachung Staatstheater gespielt, wobei es immer wieder überlange Pausen gibt, bei denen selbst der Musik von Adolf Müller mehrfach der Atem ausgeht. Die Umbauten der Bühnenbilder von Hermann Soherr, die unbeholfen plastisch Naturalistisches mit „romantischer“ Malerei im Hintergrundprospekt vereint, belasten offenbar die Burgtheatertechnik zu sehr.

Otto Tausig hat das aufgestörte Phlegma des Schafgeist, es müßte aber penetranter wirken, Hugo Gottschlich zeichnet mit viel Gestik den wendig verschlagenen Rochus allzu gutmütig, die Schärfe fehlt. Fritz Lehmann ist ein hitzig aufgeregter Hornissl, der mit den Seinen die Ruhe des Hauses stört, Florian Liewehr als sein „Neveu“' überzeugt nicht, Alfred Pfeifer als Neveu des Schafgeist bleibt farblos. Für die Ziehtochter des Rochus bietet Ulli Fessl berechnende Kälte. Insgesamt: eine völlig unzulängliche Aufführung. +

Die Grenze des „Normalen“ im Seelenleben ist auch für den Psychiater oft schwer festzustellen. Doch mag der Dichter hoffen, an den Rändern des psychisch Gesunden dem Unergründlichen näherzukommen. Nichts davon in der Komödie des Amerikaners John Patrick, die das Volkstheater in den Wiener Außenbezirken vorführt. Da wird in einem Sanatorium für harmlose „Narren“ eine exzentrische Dollarmillionärin von ihren erwachsenen Kindern eingeliefert, weil sie ihr Vermögen für eine Stiftung verwenden will, die den Unterstützten ermöglichen soll, besonders abwegig närrische Dinge zu begehen. Den Streich, den sie der kaltherzigen Geldgier ihrer Kinder spielt, bringt das Stück gegen Ende in Schwung. Ansonsten ist es überfüllt mit dem unsinnigen Tun der Insassen, das aber wohl nur der Autor für komisch hält. Unter der Regie von Franz Strohmer werden die Gestalten gut differenziert, Erika Ziha bietet als Dollarmillionärin eine beachtliche Leistung.

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