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Harter Kern wird weich

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Wie geht es weiter mit der Volkspartei? Nach Reinhold Knoll (FURCHE 46/ 1987) meldet sich ein „Stammwähler“ zu Wort: Er warnt vor einer „kernigen“ Mittelpartei.

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Wie geht es weiter mit der Volkspartei? Nach Reinhold Knoll (FURCHE 46/ 1987) meldet sich ein „Stammwähler“ zu Wort: Er warnt vor einer „kernigen“ Mittelpartei.

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Seit 25 Jahren wähle ich die österreichische Volkspartei. Ich hatte nie ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit meiner Wahl, und ich habe auch nie eine andere politische Gruppe gewählt. Ich bin, so denke ich, der Prototyp eines „Stammwählers“, loyal zu fast jeder Parteiführung und allzeit bereit, kluge Überlegungen auch hinter schwer begreiflichen politischen Positionen und Aktionen zu vermuten und am Wahltag das Kreuz in den richtigen Kreis zu setzen.

Meine Parteifreunde in der Bundesregierung, im Parlament und in der Parteizentrale wollen sich nun aus Dankbarkeit für diese feste Haltung um mich und meinesgleichen besonders intensiv kümmern. So stehe ich nun im Mittelpunkt einer „neuen geschlossenen Partei“ (Siegfried Ludwig), bin die exklusive Adresse neokonservativer Botschaften (Andreas Khol), habe bald die Ehre, einer Art Kaderpartei anzugehören, in der kritische Meinungen unterdrückt werden und der „Stammwähler“ wer ist.

Wer sich bedingungslos einordnet, kann auf Loyalität und auf Kameradschaft rechnen. Wem die strengen Regeln dieser geschlossenen Gesellschaft nicht passen, soll schauen, wo er bleibt. Scharfrichter von der Art eines Fritz König mögen in dieser Enge und Nähe aufleben. Schließlich will der ÖVP-Klubobmann nachdenkliche Parteifreunde nicht erschießen, sondern köpfen.

Suchte bislang eine kleine geschlossene Gesellschaft von Politikern auf dem Umweg über Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen den Dialog mit sich selbst, so soll nun auch diese Brücke zur Außenwelt abgebrochen werden. Kein ÖVP-Politiker darf sich künftig kritisch äußern über die Art, wie sich die Bundespartei darstellt und ihre Politik begeht, es sei denn in den „zuständigen Gremien“. Dort aber sollen Ruhe und Ordnung, Frieden und Eintracht herrschen—die Grabesstille einer geschlossenen Partei, die nur durch wechselseitige Freundschaftsadressen unterbrochen werden darf.

Viele Menschen, die der Volkspartei durchaus nahestehen, kommen vermutlich ums Nachdenken darüber nicht herum, ob eine Parteiführung wirklich gut beraten ist, zwischen „Stammwählern“ und „Randwählern“ einen klaren Trennungsstrich zu ziehen, wie das derzeit geschieht. Natürlich finden sich auch jetzt in den offiziellen Parteiaussendungen schöne Worte über Offenheit, Toleranz und Liberalität, doch tatsächlich ist der Zug längst in die Gegenrichtung abgefahren.

„Stammwähler“, Sympathisanten, Wechselwähler und „Randwähler“, was immer das ist, kehren der Volkspartei den Rücken, gehen nicht zur Wahl, wählen „weiß“ oder wenden sich anderen Parteien zu. Da nicht sein kann, was nicht sein darf: eine ziemlich richtungslose Politik, fad und glanzlos, geplant und veranstaltet von ehrenwerten Persönlichkeiten, von denen leider einige ausgebrannte Fälle sind; kurz und gut — weil man weder Mut noch Kraft zur Selbstkritik aufbringt, sucht man die Schuld bei den anderen. Einmal sind es die „Rand-wähler“, dann die „bunten Vögel“, das falsche Wahlkampfkonzept, die Medien und schließlich die „Stammwähler“, die ausgelassen haben, weil sie nicht fähig sind, einen tieferen Sinn hinter der Politik der Volkspartei in Bundesregierung, Parlament und Parteizentrale zu erkennen.

Ich kann die Sorge meiner Partei um Wahlniederlagen, Machteinbußen, sinkende Wahlbeteiligungen und Verluste bei den eigenen Kernschichten gut begreifen. Jeden Versuch, sich nun auf den Kern der Partei zu reduzieren, halte ich für grundfalsch. Auf diese Weise geht jede Attraktivität verloren. Erst bleiben die Sympathisanten und „Randwähler“ aus, dann die modischen Wechselwähler, und am Ende wird der,.Kern“ immer kleiner und weicher. Das ist der sicherste Weg zur „Mittelpartei“.

Alois Mock, der zu Beginn der siebziger Jahre im ÖAAB als Attraktivitätspol für dynamische Arbeiter und Angestellte, Aufsteiger und Manager angetreten ist, der diesen Bund damals für „Randschichten“ öffnen wollte, scheint sich damit abzufinden, seinem Nachfolger eine Mittelpartei zu hinterlassen.

Auch eine Mittelpartei übt politischen Einfluß aus, macht bei der Vergabe von Posten mit, schließt Koalitionen und stellt dann und wann einmal auch einen „Vize“ — vielleicht sogar in der Bundesregierung. Wenn die ÖVP eine Mittelpartei geworden ist, muß sie noch lange keine schlechte Partei sein. Bloß Volkspartei ist sie dann nicht mehr, doch darauf legt die Führung einer geschlossenen Partei wohl ohnehin keinen Wert.

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