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Im Zweifel fur Sieger?

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Verliert die SPÖ die Absolute? Gewinnt die ÖVP dazu? Schaffen die Grünen ein Mandat? Die Wählererwartung könnte über Sieg oder Niederlage entscheiden. Dazu ein Modell.

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Verliert die SPÖ die Absolute? Gewinnt die ÖVP dazu? Schaffen die Grünen ein Mandat? Die Wählererwartung könnte über Sieg oder Niederlage entscheiden. Dazu ein Modell.

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Das Modell geht von einer Gliederung der Wahlberechtigten in folgende Wählergruppen aus:

1. Stammwähler, das sind feste Wähler, die schon lange vor der Wahl wissen, welche Partei sie wählen werden und die mit größer Zuverlässigkeit zur Wahl gehen.

2. Unentschlossene Anhänger, das sind Wähler einer bestimmten Partei, die eine andere Partei

nicht in Betracht ziehen, aber erst für die Wahl mobilisiert werden müssen.

3. Unentschiedene Wähler, die eventuell eine bestimmte Partei wählen, aber auch noch eine oder mehrere andere Parteien wählen bzw. nicht zur Wahl gehen könnten: Sie können für die Partei gewonnen werden.

Das heißt: Unentschlossene Anhänger können jeweils nur von einer Partei mobilisiert werden, Unentschiedene von mehr als einer.

In dem vereinfachten Modell wird angenommen, daß der Bandwagon-Effekt (Mitläufereffekt) nur auf die unentschiedenen Wähler wirkt: Die Meinung, daß die Partei X einen Wahlerfolg erzielen wird, bringt einen Unentschiedenen dazu, daß er sich dieser Partei ansöhließt. Glaubt er allerdings gleichzeitig, daß auch die Partei Y einen Wahlerfolg erzielt, so teilt sich die Chance, daß er sei

ne Stimme gibt, auf beide Parteien zu gleichen Teilen auf.

Der Underdog-Effekt (Mitleidseffekt) ist sowohl bei den unentschlossenen Anhängern wie bei den unentschiedenen Wählern wirksam. Unentschlossene Anhänger, die zur Auffassung kommen, daß ihre Partei von einer Niederlage bedroht ist, entschließen sich zur Unterstützung. Unentschiedene Wähler tun das bezüglich der für sie akzeptablen Parteien auch, allerdings steht diese Wirkung in Konkurrenz zu den anderen Mitläufer- und Mit- 1 leidseffekten, die auf diesen Unentschiedenen hinwirken.

Nach diesem Modell sind Mitläufer- und Mitleidseffekt nicht von der Höhe des wahrgenommenen Wahlsieges oder der Niederlage abhängig, sondern einzig vom Glauben an Sieg oder Niederlage.

Alle Wahlausgangserwartungen für eine Partei X, die eindeutig über einem sogenannten kritischen Punkt liegen, sind Siege, darunter Niederlagen. Die kritischen Punkte sind jeweils, aus den Meinungen der Wähler, zu bestimmen. Sie liegen aber meist bei folgenden Relationen:

1. Erreichen des Grundmandates (Einzug ins Parlament) für kleine Parteien;

2. letztes Wahlergebnis: Gewinn oder Verlust;

3. relative Mehrheit (Regierungsbildungsmehrheit);

4. absolute Mehrheit (Alleinregierung oder „Kanzlerwahl“).

Das Modell nimmt von den unentschlossenen Anhängern und unentschiedenen Wählern an, daß sie ihre Stimme strategisch geben. Dabei reagieren sie nicht auf die Höhe von Prozentprognosen (wie in den älteren Modellen angenommen wurde), sondern bloß auf Sieg, und Niederlage.

Allerdings kann es mehr als einen kritischen Punkt geben. Die Wähler verteilen sich dann nach ihrer Wahlneigung über die Erwartungen. Zum Beispiel:

Dieser Modellansatz hat sich nach meinen Erfahrungen bisher nur bei zwei relativ einfachen und drastischen Fällen bewährt:

Bei der Zwentendorf-Volksabstimmung hat es durch die allgemeine Erwartung eines Sieges der Pro-Stimmen einen gewaltigen Mitleidseffekt für die Kernkraftgegner gegeben, der durch die große Zahl der politisch motivierten unentschlossenen (Anhänger-) Wähler bei der Pro-Gruppe zu erklären ist.

Bei der Bundespräsidentenwahl Kirchschläger-Lugger wurde die Gruppe der unentschlossenen Anhänger von Kirchschläger

durch Siegesmeldungen der Lugger-Gruppe mobilisiert.

Beides waren ausschlaggebende Mitleidseffekte, unter Umständen, wo es keine starken Mitläufereffekte gab.

Für die meisten Wahlen sind aber die Verhältnisse so kompliziert und die Datenunterlagen zu dürftig, um das Modell halbwegs aussagekräftig anwenden zu können. Allerdings ergeben sich aus dem Modell interessante Hinwei

se auf generelle Mechanismen.

Die Parteien müßten demnach interessiert daran sein, ihre unentschlossenen Anhänger durch Drohen mit der Niederlage zu mobilisieren, den unentschiedenen Wählern hingegen mit einem dosierten Sieger-Optimismus zu imponieren. Dazu ware es allerdings notwendig, für diese Gruppen unterschiedliche Informationen über den zu erwartenden Wahlausgang zu setzen. Das gelingt heute kaum mehr.

In einer Situation, wo durch veröffentlichte Meinungsforschung (vgl. dazu FURCHE Nr. 10,

S. 4) eine einheitliche öffentliche Meinung gebildet wird, haben Prognosen einen bedeutenden Einfluß auf den Wahlausgang. Es ist anzunehmen, daß man dann lernen wird, diesen Effekt durch Wahlverhaltensforschung in Richtung auf eine volle Parametrisierung von Modellen recht genau einzuschätzen.

Der Autor ist Leiter des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES) in Wien. Der Beitrag beruht auf einer Unterlage für das Fachseminar „Wahlprognose und Wähler- verhalten“ des Kuratoriums für Joumalisten- ausbildung am 25. und 26. März in Wien.

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