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Wittern und zittern bis zur Wahl

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Praktisch jeder fünfte Wähler weiß vier Wochen vor dem Wahltag noch nicht, wem er am 7. Oktober seine Stimme geben wird. Noch nie in der Vergangenheit war die Zahl der Unentschlossenen derart groß.

Bei der Wahl 1986 lag die ÖVP um 88.361 Stimmenhinter der SPÖ. Jetzt liegt sie nach Umfragen - mit der nicht unproblematischen Hoch- rechnung der Unentschlossenen - „nur" noch um 170.000 Stimmen hinten. Oder auch nicht.

Während frühere Skandale - ei- gentlich ein Phänomen - kaum an der SPÖ-Position gekratzt haben, hat die Affäre rund um den ehema- ligen steirischen Arbeiterkammer- Präsidenten Alois Rechberger zu einem Einbruch geführt. Das hat den Solarplexus der Vranitzky- Partei getroffen. Und das gleich zweifach. Einerseits sackten die Sympathiewerte ab, andererseits ist der tragende Funktionärskader der Gewerkschafter tief frustriert und demotiviert.

Daraus und aus dem Umstand, daß sich der Abstand gegenüber der SPÖ im Vergleich zu früheren Umfragewerten j etzt schon halbiert hat, schöpft die ÖVP für den End- spurt Hoffnung. Gelingt es, das Gros der Unentschlossenen zu mobili- sieren, ist alles offen.

Es wird spannend. Und es wird eine harte Auseinandersetzung werden. Bei der Nationalratswahl 1986 hatten SPÖ und ÖVP im Rin- gen um die Unentschlossenen im Zieleinlauf gegenüber der Op- position jedenfalls das Nachsehen.

Will Franz Vranitzky sein Ziel erreichen, am 7. Oktober „so stark zu werden, daß gegen die Sozialde- mokratie in Österreich keine Re- gierung gebildet werden kann", muß er nicht nur gegen eine Wäh- lerabwanderung ins grüne Lager ankämpfen, sondern überhaupt erst frustierte SP-Wähler der Vergan- genheit zur Stimmabgabe bewegen.

Und will Josef Riegler mit dem Wahltag „die Nummer eins wer- den, den Bundeskanzler und den Finanzminister stellen", muß sich die ÖVP gleich auf einen Mehrfron- tenkampf einstellen: hart gegen die SPÖ, damit die Protestwähler nicht der FPÖ in den Schoß fallen, hart gegen die FPÖ, damit ihr bürgerli- che Wähler nicht abwandern, aber auch entschieden gegen die Grü- nen, damit vor allem Jungwähler nicht weiter ins Oppositionslager überwechseln.

FPÖ und Grüne haben sich nicht nur als Ziel gesteckt, den Regie- rungsparteien insgesamt 20 Man- date abzujagen, sondern auch in Opposition zu bleiben. Letzteres ist sicher am leichtesten zu erreichen.

Damit hat die Opposition selbst der Koalition die weitere Regie- rungsverantwortung zugewiesen. Und auch mit deutlichen Verlusten gegenüber 1986 wird eine stattli- che Mehrheit im Parlament hinter der Regierung stehen. Die letzten Wochen werden entscheiden, wer künftig in dieser Koalition die Nase vorne, wer das Sagen hat. Die ÖVP wittert Morgenluft. Und die SPÖ hofft und zittert.

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