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Jerusalem im Hürdenlauf
Die 550.000 Einwohner Jerusalems haben eine Sorge: sie gilt der Verkehrsnot, den unerwarteten, allzu häufigen Straßensperren, Umzügen, Demonstrationen, feierlichen Staatsakten, Zeremonien und ähnlichem, die den gesamten Verkehr zum Erliegen bringen. Dabei kommt es regelmäßig auf den Straßen der Hauptstadt zu einem Chaos.
Zur näheren Erklärung muß gesagt werden, daß Jerusalem eigentlich nur über drei Hauptverkehrsadern verfügt: Die lange Jaffo-Street, die den einzigen Zugang von und zur Küste und Tel Aviv bildet, des weiteren die King-David-Street und parallel zu ihr die King-George-Street. Fällt nun auch nur eine dieser drei Straßen aus, kommt es sofort in der ganzen Stadt zum Chaos.
Ein nicht zu unterschätzendes Hindernis sind die Demonstrationen. Die meisten Demonstranten, die manchmal bis zu Zehntausenden anschwellen, kommen meistens aus der Küstengegend oder dem Norden, was bedeutet, daß die einzige Anfahrtsstraße nach Jerusalem total verstopft ist, zugleich mit der Zentral-Bussta-tion. Aber dies ist eher eine Lappalie, da man auch an einem „normalen” Tag oft eine halbe Stunde warten muß, bis man die letzten drei Kilometer von Moza bis zur Stadteinfahrt zurücklegt.
Etwas anders verhält es sich, wenn vor der Dienstwohnung des Ministerpräsidenten demonstriert wird, die liegt nämlich näher zum Zentrum als dessen Amt. In solchem Falle kommt es zu Stauungen „nur” auf einer weniger wichtigen Straße, die man sogar umfahren kann.
Wer demonstriert - nicht?
Spätestens hier sollte gefragt werden: wer demonstriert eigentlich? Die Antwort ist verblüffend einfach die Gegenfrage: wer, zum Teufel, demonstriert eigentlich nicht? Es gibt fast keinen Sektor, der es nicht mit mindestens einer Demonstration versucht hätte. Die demonstrationsfreudigsten sind die jüdischen Siedler der besetzten Gebiete, die beinahe tagauf tagab Themen und Zeit finden, zu demonstrieren, wobei sie es besonders auf Ministerpräsident Rabin abgesehen haben, von dem sie befürchten, er wolle „ihre” Gebiete räumen.
Eine andere Gruppe von Demonstranten kann unter der Kategorie „Vermischtes” aufgenommen werden. Da gibt es Arbeitnehmer, die um eine Aufbesserung ihres Lohnes auf die
Straße gehen, äthiopische Einwanderer, die für ihre geistigen Führer (Kaiss) eine Gleichstellung mit den Rabbinern fordern, da gibt es Demonstranten, die für ihre Munizipalitäten größere Budgets fordern, Narkoma-nen, deren Betreuer wegen „illegaler Betreuung” verhaftet wurden und viele andere mehr. Manchmal gibt es sogar zwei oder drei Demonstrationen zugleich am gleichen Ort. Die Polizei, die die Demonstrationen prinzipiell immer bewilligt, ist überfordert, vor allem wenn wieder einmal die Einfallstraßen von Süden und Westen heillos verstopft sind. Der Zauberdauert meistens zwei bis drei Stunden. Spätestens in den Abendstunden verlieren sich die Demonstranten, nicht ohne vorher sicher zu gehen, daß das israelische Fernsehen „ihre” Demonstration aufgenommen hat.
Wie soll nun der Durchschnittsbürger Jerusalems eigentlich wissen, wo und wann demonstriert wird? Dies ist in der Tat schwierig. Die meisten Demonstrationen werden kurzfristig angesagt. Der gelernte Jerusalemer hat bald den Dreh heraus: seinen Wagen zu Hause zu lassen. Dies ist noch immer die beste individuelle Lösung. Aber selbst im öffentlichen Verkehrsmittel bleibt der Hürdenlauf niemandem erspart.
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