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Kein Spektakel m w

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Am 20. und 21. April 1975 finden in ganz Österreich die sechsten Handelskammerwahlen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges statt. Bei diesen Wahlen entscheiden rund 275.000 Wirtschaftstreibende bzw. rund 422.000 Fachgruppenmitglieder (einige Wirtschaftstreibende sind in mehreren Fachgruppen wahlberechtigt) Uber die Vergabe von insgesamt 11.710 Mandaten in den Fachgruppenausschüssen des Gewerbes, des Handels, der Industrie, des Verkehrs, des Fremdenverkehrs und des Geld-und Versicherungswesens. Die rivalisierenden politischen

Gruppen bei diesen Wahlen sind der österreichische Wirtschaftsbund, der Soziallstische Freie Wirtschaftsverband und einige Namens- und Fachlisten, die mehrheitlich dem Wirtschaftsbund zuzurechnen sind. Bei den letzten Handelskammer-wahlen Im April 1970 — also knapp 40 Tage nach einer relativen SPÖ-Mehrheit auf Bundesebene — entfielen auf den österreichischen Wirtschaftsbund 84,7 Prozent der Mandate und auf den sozialistischen Freien Wirtschaftsbund knapp zehn Prozent der Mandate.

Den Handelskammerwahlen des Jahres 1975 kommt angesichts der Angriffe und Belastungen, denen freies Unternehmertum und die Soziale Marktwirtschaft in den letzten Jahren ausgesetzt waren, besondere politische Bedeutung zu. Immerhin gibt ihr Ergebnis die politische Stimmung unter den Unternehmern wider.

Diese politische Stimmung ist aus vielen Gründen flau: steigende Soziallasten, Versuche der rigorosen Preisreglementierung, das umstrittene (wenn auch auf Sozialpartnerebene einigermaßen gemilderte) Arbeitsverfassungsgesetz einerseits, eine stagnierende Wirtschaftsentwicklung anderseits wird von den meisten Unternehmern vor allem der Regie-rungspatei und der Bundesregierung angelastet. Dazu kommt eine begreifliche Verunsicherung, ausgelöst durch zahlreiche verbale Verstaatlichungs-Drohungen prominenter Gewerkschaftsfunktionäre. Die Feststellung des Privatangestellten-Gewerkschafters Alfred Dallinger, daß die Unternehmer keine Sozialpartner seien, ist nur das signifikanteste Beispiel für die aktuelle Unternehmer-Verteufelung.

Handelskammerwahlen lösen naturgemäß keine spektakulären Wahlkämpfe aus; dazu ist auch die Vorherrschaft des österreichischen Wirtschaftsbundes zu eindeutig und der Wähler-Appeal der sozialistischen Wirtschaftsorganisation viel zu gering. Dennoch setzte sich Kurt Mühlbacher, Präsident der sozialistischen Wirtschaftsorganisation, ein sehr hohes Wahlziel: die Erhöhung des Stimmenanteils um fast das Doppelte, auf 30 Prozent. Mit einem derartigen Stimmenanteil, so meinte er, Wäre es möglich, wichtige Kammerfunktionen an der Basis und nicht nur auf Grund von Kooptierungen zu besetzen. Tatsächlich verdanken es die sozialistischen Wirtschaftstreibenden — wenn man so will — der Gnade des österreichischen Wirtschaftsbundes, daß einer ihrer Vertreter im Präsidium der Bundeswirtschaftskammer vertreten ist. Mühlbachers Vorgänger war der allseits geschätzte Josefstädter Schneidermeister Ludwig Kostroun, seine Kooptierung war stets unumstritten; die Kooptierung des etwas rebellischen Steuerberaters Kurt Mühlbachers, der die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung mit allen Kräften unterstützt, ist dagegen keine ausgemachte Sache.

Handelskammerwahlen sind kein einmaliger Wahlvorgang, sondern setzen sich aus mehreren Wählprozessen zusammen. Am 20. und 21. April finden die sogenannten „Ur-Wahlen“ statt. Dabei wählen die Unternehmer ihre Vertreter in die Fachgruppenausschüsse direkt. Sodann kommt es im Laufe eines rund sechs Monate dauernden Wahlvorganges zur Wahl der Fachgruppenvorsteher, der Landessektionsob-männer, der Bundessektionsobmänner und schließlich zur Neuwähl des Präsidiums der Bundeswirtschaftskammer. Dieser stufenweise Aufbau der Handelskammerwahlen hängt eng mit der Struktur der Katnmer-organisation zusammen; er trägt der Tatsache Rechnung, daß die Kammerorganisation in sich das Prinzip der fachlichen Vertretung und der regionalen Aufgliederung vereinigt.

Spektakuläre personelle Änderungen sind jedenfalls mit den Handels-kammer-„Urwahlen“ im April nicht verbunden; erst im Laufe der nächsten sechs Monate könnte es zu Um-besetzungen an der Spitze der Bundessektionen (denkbar wäre ein Rücktritt des nicht ganz gesunden Gewerbesektionsobmannes Franz Walzer) kommen, in den Landessektionen dürfte es dagegen keine bedeutenden personellen Änderungen geben. Völlig unumstritten ist die Wiederwahl Rudolf Sallingers zum Präsidenten der Bundeswirtschaftskammer. Österreichs oberster Sozialpartner wird selbst in den Kreisen der sozialistischen Wirtschaftstrei-' benden als „bester“ Sachanwalt der Wirtschaftsinteressen geschätzt.

Das Problem dieser Handelskammerwahlen hegt bei der Wahlbeteiligung — insbesondere in der Bundeshauptstadt Wien. Würde hier die Wahlbeteiligung weiter sinken — schon 1970 lag sie unter 50 Prozent — so könnte das unter Umständen politische Folgen haben, die auch von den wahlenthaltsamen Gewerbetreibenden mißbilligend aufgenommen würden. Aus diesem Grund trommelt der österreichische Wirtschaftsbund vor allem in der Bundeshauptstadt und hier wiederum unter den Klein-und Kleinstgewerbetreibenden. In dieser Gruppe hat die Resignation bereits ein Stadium erreicht, daß selbst das Gestaltungs- und Entscheidungsrecht über die Zukunft des freien Unternehmertums und der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr ganz ernstgenommen werden. Mit zahlreichen Aktionen versuchen die Handelskammern, das Interesse der Wirtschaftstreibenden wachzurüt-teln. Vor allem mit der Aktion „Unternehmen-fit“ glaubt man, ein besseres Klima für eine höhere Wahlbeteiligung geschaffen zu haben.

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