6887368-1979_32_13.jpg
Digital In Arbeit

Mit Konflikten besser umgehen lernen

Werbung
Werbung
Werbung

Marxisten, Behavioristen und Frustrationstheoretiker sind sich einig, daß es möglich sein muß, das Paradies auf Erden zu schaffen. Ob das Ziel die klassenlose Gesellschaft, der unbegrenzt anpassungsfähige oder der in einer repressionsfreien Umwelt lebende Mensch ist - der utopische Charakter dieser Entwürfe wird davon nicht berührt.

Daß es in der Geschichte der Menschheit jemals einen repressionsfreien Raum gegeben hätte, wird sich schwerlich nachweisen lassen. Auch der fortschrittliche Glaube an die Veränderbarkeit der menschlichen Gesellschaft und der sie bestimmenden Faktoren kommt um die empirische Einsicht nicht herum, daß jeder Fortschritt mit Opfern verbunden ist

Ohne Verzicht und Selbstbeschränkung ist noch kaum je eine große Tat geglückt. Hinzu kommt, daß jedes menschliche Tun mit der Möglichkeit des Scheiterns rechnen muß. Deshalb kommt es letztlich nicht darauf an, Frustrationsmöglichkeiten zu beseitigen, sondern den Menschen in die Lage zu versetzen, mit seinen Frustrationen selbst fertig zu werden.

Darin besteht der Grundirrtum der antiautoritären Erziehung, daß sie eine repressions- und frustrationsfreie Erziehung überhaupt für möglieh hält, ganz abgesehen davon, daß eine Erziehung, die auf größtmögliche Trieberfüllung ausgerichtet ist, Aggressionen eher weckt als verhindert. Umgekehrt erstickt ein vorwiegend mit Repression, Zwang und Drohung operierendes System wie der Marxismus jede Initiative, da es den Menschen in die Subordination zwingt und zum Funktionär macht. Beide „Zielvorstellungen“ sind im höchsten Maße unverantwortlich, meint der Konrad Lorenz Schüler Irenaus Eibl-Eibesfeld.

Von solchen Illusionen war die 28. Internationale pädagogische Werktagung ohnehin nie beherrscht. Dieses international angesehene pädagogische Forum versuchte in anspruchsvollen wissenschaftlichen Vorträgen und Workshops praktikable Modelle zu erarbeiten, um mit Konflikten besser umgehen zu können. Vom 24. bis 28. Juli versammelten sich in der Universität Salzburg mehr als 700 Teilnehmer aus Österreich und einigen Nachbarländern.

Herausragendes Ereignis unter den vielen Vorträgen und Diskussionen war der Vortrag des Tübinger Professors Friedrich Bollnow über die „Freiheit von der Rolle“. Es ist unbestritten, daß sich in den modernen Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Begriff der Rolle als überaus fruchtbar erwiesen hat. So sind weite Bereiche des menschlichen Daseins mit seiner Hilfe durchsichtig geworden. Im gesellschaftlichen Zusammenleben wirkt sich ein rollenspezifisches Verhalten als ein bedeutender stabilisierender Faktor aus.

Dennoch stellte Bollnow die Frage, ob der Mensch nichts anderes sei als die Gesamtheit seiner Rollen? Der Mensch fühle in sich durchaus die Möglichkeit, sich von seiner Rolle zu distanzieren, zwischen der Rolle, die er jeweüs nur „spielt“, und dem, was er im eigentlichen Sinn „ist“ zu unterscheiden.

Der Spielcharakter gehöre allerdings untrennbar zur Rolle. Das Spiel stehe aber im Gegensatz zum Ernst

„Der Mensch hat, indem er seine Rolle spielt, mehr oder weniger deutlich das Bewußtsein, daß er sie ,nur' spielt, daß er nicht ganz gleichzusetzen ist mit seiner Rolle, daß er mehr ist, als in seiner Rolle zum Ausdruck kommt“.

Die Möglichkeit der Rollendistanz sei der Ausdruck eines Wesens, das sich in Freiheit zu sich selbst verhalten könne und das philosophisch mit dem Begriff der Existenz bezeichnet würde.

Der Rollenbegriff ermöglicht eine soziale Unberührbarkeit, eine Zone der Privatheit der Intimität, der persönlichen Freiheit. Insofern gewähre der Rollenbegriff Achtung vor dem einzelnen als dem einzelnen und schirme ihn gegen sein öffentliches Wesen ab.

Das Spiel stehe aber im Gegensatz zum Ernst im Sinne seiner ursprünglichen Wortbedeutung: Kampf. Wo es im Leben ernst wird, da muß der Mensch seine Rollenbindung und den Schutz der Rolle durchbrechen. Da muß er in aller Ungeschütztheit er selbst sein und die volle Verantwortung für sich übernehmen. Entsprechend ist es auch bei der Liebe.

„In jedem unmittelbaren menschlichen Bezug, überall da, wo ich den anderen Menschen als ein ,Du' erfahre, da fallt die Rolle vom Menschen ab, da ist er rückhaltlos als er selbst da“.

Dieses Selbstwerden im Durchbruch durch das Rollenverhalten sollte nicht auf die seltenen „existentiellen“ Augenblicke beschränkt bleiben, wo der Mensch durch den Druck der Situation dazu gezwungen wird. Der Mensch sollte versuchen diese Haltung auch in seinem übrigen Leben zu verwirklichen. Er sollte versuchen die Rollenhaftigkeit seines - um mit Heidegger zu sprechen -„uneigentlichen“ Dasein zu überwinden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung