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Stolperdraht, Zeitbombe

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Jetzt wissen wir endlich, wer an der Inflation schuld ist. Nicht die Regierung, bewahre, sondern die österreichische Volkspartei. Es war zu erwarten gewesen, daß die Sozialisten jetzt, da die bisher von ihnen bagatellisierte Teuerung an ihrem Wäh-lerpotentiai zu nagen beginnt, wieder die Preisgesetze — Preisregelungsgesetz, Preisbestimimungsgese'tz und Preistreibereigesetz — auf das Tapet bringen würden. Da von diesen teilweise Verfassungsklauseln berührt werden, braucht die Regierung für jede Verschärfung die Stimmen der großen Oppositionspartei, um die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit zu erlangen. Hier kann daher, so paradox es klingt, die sozialistische Partei Minorität spielen, eine Rolle, die sich ihr in den Oppositions- und Koalitionstagen bezahlt gemacht hat und die sie daher — trotz ihrer derzeit absoluten und sehr massiv eingesetzten Majorität — noch gerne weiterspielen möchte.

Das Problem ist, daß die Angelegenheit, oberflächlich betrachtet, so enorm plausibel aussieht. Nehmen wir die Preisregelung: Die Preise, so argumentiert die Regierung mit Vorliebe, machen schließlich diejenigen, welche die Waren produzieren und verkaufen, also Industrie und Handel. Wenn man sie durch einen Preisstopp kurzerhand daran hindert, die Preise zu erhöhen, ist die Inflation wie weggeblasen. Die Argumentation ist primitiv, aber effektvoll. Gegen die weitverbreitete nationalökonomische Ignoranz anzukämpfen, ist hingegen immer schwierig.

ÖVP-Ohef Schleiozer sucht die Aufgabe der Aufklärung taktisch zu lösen: Die Regierung ebenso wie die Paritätische Kommission, so sagt er, hätten nicht einmal das durch die letzte Novellierung des Preisregelungsgesetzes ihnen an die Hand gegebene Instrumentarium ausgenützt. Möge die Regierung zuerst das tun, ehe sie eine Erweiterung des Instrumentariums verlangt. Das ist richtig, aber notgedrungen abstrakt, weniger effektvoll als die Holzhammerforderung nach Preisstopp.

Ebenso richtig ist es, daß ein Preisstopp, soll er einigermaßen wirksam sein, einen Lohnstopp zur Voraussetzung hat. Schreckt man vor diesem zurück, wird das Ganze zur Farce.

Das Entscheidende, aber zugegebenermaßen politisch schwer Verkäufliche ist die Tatsache, daß jeder Preisdirigismus eine Symptomkur und daher letzten Endes wirkungslos ist, solange die Ursachen nicht ausgeräumt sind. Das haben bisher noch alle Versuche in dieser Richtung bewiesen.

Bereits das römische Imperium hatte in seiner Spätzeit — wie bisher alle dekadenten Staaten — mit der Inflation zu kämpfen. Auch die Cäsaren versuchten es mit dem Preisstopp. Diocletian, in seinen Methoden bekanntlich nicht zimperlich, verhängte sogar die Todesstrafe für Preistreiberei — ohne Erfolg.

Auch in den letzten Jahren kannten sich zahlreiche Industriestaaten — gleichgültig, ob konservativ oder sozialistisch regiert — von der In-effektivität des Preisstopps überzeugen. Wir Österreicher kennen das selbst zur Genüge von den amtlichen Preisfestsetzungen und den staatlichen Tarifen. Diese Preise werden zwar seltener erhöht, dafür aber um so gründlicher. Per saldo steigen sie genauso wie die freien Preise — es sei denn, daß der Preisanstieg durch vermehrte staatliche Subventionen kaschiert wird.

Unter den sachlichen, weniger auf Show-Effekte eingestellten Sozialisten macht man sich daher keine Illusionen. Sogar der Wirtschaftspolitiker der AZ, Helmut Rome, äußerte sich dieser Tage zur neuen sozialistischen Preisstoppoffensive sehr reserviert.

Was aber das sozialistische Führungsteam für den Preisstopp so einnimmt, ist offenbar sein Rückstaueffekt. Langfristig verhindert er die Teuerung nicht, sondern stimuliert sie eher, aber er dämpft die Preissteigerung eine Zeitlang, ehe sie dann mit noch größerer Vehemenz losbricht.

Hier wäre nun ein perfektes Timing im Hinblick auf die nächsten Nationalratswahlen möglich. Ein in den kommenden Monaten beschlossener Preisstopp würde gerade bis zu den nächsten Nationalratswahlen halten — die außerdem, sobald es brenzlig wird, von der Regierungspartei noch immer vorverlegt werden können.

Nach den Wahlen bricht dann die Preislawine vehement herein. Werden die Sozialisten wiedergewählt, haben sie als Alibi die vorhergegangene relative Stabilität. Kommt die ÖVP ans Ruder, dann ist „bewiesen“, daß sie mit der Inflation noch weniger fertig wird.

Ein Preisstopp würde eine Zeitbombe darstellen, die unter dem Tisch der nächsten Regierung krepieren wird. Sollte diese dann von der Volkspartei ganz oder mehrheitlich gesteilt werden, ist ihr das Schicksal der Regierung Heath gewiß.

Es wind der ÖVP in nächster Zeit sehr viel taktisches Geschick abfordern, daß sie nicht über die Stolperdrähte des Preisdirigismus fällt, sondern die Regierung auf eine auch in der Öffentlichkeit verständliche Weise dazu zwingt, an Stelle von Symptomkuren substantielle Anti-Inflationsmaßnaihmen durchzuführen.

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