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Warten auf die Königin

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Englands Königin nimmt als Staatsoberhaupt eine einzigartige Stellung ein: sie ist nicht nur Königin von England, sondern auch von Kanada, Australien und Neuseeland. In allen diesen Ländern ist sie eine konstitutionelle Monarchin, das heißt, sie muß sich nach den Ratschlägen der Minister richten. In Kanada, Australien und Neuseeland wird sie durch einen von den jeweiligen Regierungen ernannten Generalgouverneur vertreten. Wenn sich die Königin in irgendeinem dieser Länder aufhält, handelt sie nicht anders als in England.

Ist die Königin nicht im Lande, wird sie durch einen Regentschaftsrat vertreten, der alle ihre Funktionen ausüben kann — mit einer einzigen Ausnahme: der Parlamentsauf -lösung.

Nun ist das jetzige Parlament instabil und seine Lebensdauer nicht vorauszusagen. Faktisch halten die Parteien einander die Waage. Die an der Regierung befindliche Labour-Partei verfügt nur über eine relative Mehrheit — über nur wenig Sitze mehr als die Konservativen; das Zünglein an der Waage sind die Liberalen sowie die schottischen, wali-ser und irischen Nationalisten.

Ein Premierminister behält seinen Posten während eines Wahlkampfes. Verliert er die Wahlen, dann tritt er sofort zurück und wird durch den Führer der siegreichen Partei ersetzt. Da diesmal keine Partei die absolute Mehrheit erlangen konnte, blieb Heath zunächst Premierminister und verhandelte ein Wochenende lang mit den Liberalen, um zu sehen, ob eine Koalition möglich sei. Ais dieser Versuch scheiterte, trat Heath zurück. Die Königin ließ Harold Wilson als Führer der stärksten Partei zu sich kommen und ernannte ihn zum Premierminister.

Das entsprach der Tradition und brachte keine Schwierigkeiten mit sich. Doch angenommen, Heath — noch immer als Premierminister — hätte bis zum Zusammentritt des Parlaments gewartet, eine Abstimmungsniederlage erlitten und darauf die Königin gebeten, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Das ist das anerkannte Recht eines Premierministers nach einer Niederlage. Aber kann oder darf es ausgeübt werden, wenn nach den letzten Wahlen erst wenige Wochen verstrichen sind?

Die etablierte Grundregel ist, daß die Königin alle ihre verfassungsmäßigen Funktionen auf Grund der Ratschläge von Ministern ausübt. Was immer sie tut, das tut in Wirklichkeit die Regierung. So kann sie selbst niemals verantwortlich gemacht werden, sondern nur ihre Regierung. Wie Winston Churchill einmal gesagt hat: Die Funktion der Krone ist, zu glänzen, die der Minister, Verantwortung zu tragen und sich kritisieren zu lassen.

Dieser Regel liegt eine andere zugrunde, die man in Kommentaren zur augenblicklichen Situation im allgemeinen nicht berücksichtigt hat — die Regel nämlich, daß der Souverän niemals in Parteipolitik verwickelt werden darf. Eine Partei könnte sonst sehr wohl vor aller Öffentlichkeit und in einem Wahl-kampf Kritik an der Königin üben. Selbst wenn die Partei die Wahlen verlöre, würde sie früher oder später doch wieder ans Ruder kommen; und das Ansehen der Krone wäre geschwächt, wenn die betreffende Regierung dem Souverän kritisch gegenüberstünde.

(Berücksichtigt man diese Regel, dann wird die Situation völlig klar: Hätte Heath nach einer Abstimmungsniederlage die Auflösung des Parlaments beantragt, wäre es Aufgabe der Königin gewesen, Harold Wilson zur Regierungsbildung aufzufordern.

Viel verwickelter ist allerdings die Frage, was geschehen könnte, wenn Wilson im Parlament überstimmt würde, was jederzeit möglich wäre, sollten sich die anderen Parteien oder einige von ihnen gegen ihn verbünden, und wenn er daraufhin bei der Königin die Auflösung des Parlaments beantragen würde. Handelt dann die Königin richtig, wenn sie darauf eingeht?

Manche Kommentatoren meinen, sie könnte in einem solchen Falle Heath auffordern, wieder Premierminister zu werden, oder aber dieses Amt einem dritten anbieten in der Hoffnung, daß die Mehrheit des Parlaments ihn unterstützen werde. Strenggenommen wäre die Königin berechtigt, das eine oder das andere zu tun, weil man der Krone keine ihrer Befugnisse genommen hat. Aber von solchen Befugnissen wird nicht notwendigerweise Gebrauch gemacht. Das gilt zum Beispiel auch für das Recht der Krone, Einspruch gegen eine Vorlage zu erheben. Theoretisch besteht dieses Recht, aber es

iot ooit ^(10 .TahrÄn ninht mAhr ausgeübt worden, ebensowenig, wie seit 150 Jaihren das Recht des Souveräns, Minister zu entlassen.

Wäre Heath erneut Premierminister geworden, hätte die Labour-Partei alles versucht, ihn im Parlament zu Fall zu bringen, und wahrscheinlich wäre ihr das auch bald gelungen. Die Königin hätte sich dann vor die Frage gestellt gesehen, ob sie Heath das gestatten solle, was sie Wüson gerade verweigert hatte: die Auflösung des Parlaments. Im Falle eines solchen Entschlusses wäre em direkter Angriff seitens der Labour-Partei die Folge gewesen.

Hätte die Königin nicht Heath, sondern Wilson wieder zu sich berufen, hätte das den Anschein gehabt, als wäre ein Versuch der Krone, eine konservative Regierung zu retten, fehlgeschlagen. Und würde Wilson im Parlament wieder überstimmt werden, dann entstände der Eindruck, als hätte sich die Königin gezwungen gesehen, ihm eine Auflösung gegen ihren Willen zu gestatten.

Die Idee, daß die Königin einen dritten mit der Regierungsbildung beauftragen könnte ist absurd, weil kein dritter bereit wäre, das Amt des Premierministers zu übernehmen — und sollte sich doch einer finden, würde er im Parlament sofort gestürzt werden. Die Königin trüge dann in den Augen der Öffentlichkeit die Verantwortung für ein sinnloses Manöver. Sollte also Wilson jetzt im Parlament eine Niederlage erleiden und eine Auflösung beantragen, würde die Königin sie bewilligen.

Eins steht fest: Die britische Öffentlichkeit rechnet zwar nicht mit einer langen Lebensdauer des jetzigen Parlaments; aber es wünscht auch keine vorzeitigen Neuwahlen. Jede Partei, die vorzeitige Wahlen durch ihr Verhalten im Parlament herbeiführte, würde so gut wie sicher schwere Stimnwerluste erleiden. Es ist also sehr unwahrscheinlich, daß sich die Königin vor einer heiklen Entscheidung sehen wird. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Recht hätte Wilson, im Fall einer Abstimmungsniederlage, die Königin um die Auflösung des Parlaments zu bitten, und um so richtiger wäre es für die Königin, dieser Bitte nachzukommen. Die weitverbreitete Anerkennung ihrer Rolle als konstitutioneller Souverän ist eine Gewähr dafür, daß die Königin diese Rolle weiterspielen wird.

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