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Wirtschaftskonzert arm an Solopartien

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Das Konzert der österreichischen Wirtschaftspolitik ist arm an Solopartien, aber reich an undifferentiertem Raunen und Murmeln, von unbeteiligten Beobachtern auch als Mauscheleien abqualifiziert. Dann und wann läßt aus einem Tiroler Bergdorf das ö VP-Spitzenduo den Ruf nach Freiheit und Eigentum erschallen. Immer wieder findet sich vorSPÖ-Parteitagen ein Getreuer, der den Verstaatlichungs-Gesang aus der Schublade holt.

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Das Konzert der österreichischen Wirtschaftspolitik ist arm an Solopartien, aber reich an undifferentiertem Raunen und Murmeln, von unbeteiligten Beobachtern auch als Mauscheleien abqualifiziert. Dann und wann läßt aus einem Tiroler Bergdorf das ö VP-Spitzenduo den Ruf nach Freiheit und Eigentum erschallen. Immer wieder findet sich vorSPÖ-Parteitagen ein Getreuer, der den Verstaatlichungs-Gesang aus der Schublade holt.

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Woher bezieht das Konzert der österreichischen Wirtschaftspolitik seine Partituren und wer sind seine Dirigenten? Getreu dem dichotomen schwarzroten österreichischen Weltbild sei eine Bestandsaufnahme versucht.

Der Part der ÖVP scheint leicht beschreibbar. Bis vor kurzem betrachteten sich ihre Dirigenten als Vollprofis in diesem Sujet. Sie brauchten keine Noten, sie spielten sozusagen sich selbst. Kritische Stimmen vermerkten wohl eine gewisse Einseitigkeit und Abgegriffenheit im Repertoire, konnten sich aber kein Gehör verschaffen. Prekär wurde die Situation der ÖVP, als die letzten beiden Stardirigenten sich verabschiedeten, um intimeren Kunstgenüssen nachzugehen. Der eine präsidiert nun das Ensemble der Notenbank, der andere behütet die Turnauer-Gruppe.

Wohl wurden inzwischen neuen Dirigenten der Taktstock in die Hand gedrückt, doch konnten auch nächtliche Nachhilfestunden akademischer Nationalökonomen nicht die Schwächen der verwendeten Partituren, geschweige das noch unterentwickelte Taktgefühl kaschieren.

Differenzierter bietet sich der Part der SPÖ dar. Für den dortigen Chefdirigent gilt die von Hans Weigel tradierte Anekdote über die Wiener Philharmoniker: Einem Dirigenten drohten sie einmal, wirklich so zu spielen, wie er dirigierte. Die Drohung wirkte und ab diesem Zeitpunkt übernahm der Konzertmeister die eigentliche Orchesterführung ebenfalls nicht unbestritten. Vor allem wird ihm vorgeworfen, er lasse nur alte vergilbte Partituren neu auf Hochglanzpapier drucken und erwecke so den Eindruck von Neuerungen.

Eine diesem Orchester zugehörige Gruppe von jungen Nationalökonomen ist aber emsig dabei, völlig neue Kompositionen zu kreieren. Ein erster Entwurf passierte zwar nur in kaum wieder zu erkennender Form die offiziellen Gremien, stieß aber im Publikum auf so positives Echo, daß sogar ÖVP-Musi. ker mit dem Einproben dieser Ton Schöpfungen begannen.

Viele meinen, im Konzert der Wirtschaftspolitik neue Tendenzen erkennen zu können, die in ihrem Stellenwert gleichzusetzen sind den Vorgängen der Wiener Schule in den dreißiger Jahren und getragen werden von jungen Schichten quer über die traditionellen ,Parteigrenzen.

In allen gesellschaftspolitisch gewichtigen Institutionen, den politischen Parteien, den Kammern und sonstigen Interessenvertretungen, könnte die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen neuen Wirtschaftskonzepten den Generationenkonflikt der achtziger Jahre prägen. Ein Kurzkatalog dieser neuen wirtschaftspolitischen Diagnose könnte aus folgenden Punkten bestehen:

1. Die wirtschaftlichen Erfahrungen der siebziger Jahre waren nicht zuletzt *auch ein Debakel für die professionelle Nationalökonomie...

2. Aktualisiert wurde die Frage nach den Kriterien für wirtschaftlichen Wohlstand, popularisiert in der Forderung nach mehr Lebensqualität, da die traditionellen ökonomischen Indikatoren, vor allem das Brutto-Sozialpro-dukt in den hochentwickelten Industrieländern ihre diesbezügliche Aussagekraft verlieren.

3. Die Formel von der sozialen Marktwirtschaft erweist sich einerseits als leer, weil in immer weniger Bereichen unserer Wirtschaft noch funktionsfähige Märkte existieren, andererseits durch oligopolistische Marktstrukturen und externe Produktionsund Konsumeffekte-wie Umweltbelastungen und suggestive Werbung - als falsch, weil die Macht der Märkte zu Wohlstandseinbußen rührt.

4. Auch die Vollbeschäftigungsformel erweist sich nicht mehr als intakt, weil vor der Forderung nach Arbeitsplätzen die wichtige Frage nach der Sinnhaftigkeit der zu erzeugenden Produkte steht...

5. Die Parole „Small ist Beautiful" signalisiert durch Bestsellerauflagen eine latente Unzufriedenheit mit bestehenden Wirtschaftsstrukturen .,.

6. Das „Concorde-Syndrom" begleitet viele wirtschaftliche Entwicklungsprogramme der Industriestaaten. Die

Entwicklungskosten dieses französischen Prestige-Projektes hätten genügt, um den ganzen indischen Kontinent mit einer medizinischen Infrastruktur aus-zustatten ...

7. Wirtschaftliches Handeln ist reduzierbar auf die Begriffe Tauschen und Teilen. Die professionelle Ökonomie hat sich wohl intensiv mit der effizienten Organisation von Tauschprozessen beschäftigt, relativ bescheiden nehmen sich dagegen aber die Aussagen zu den Verteilungsproblemen aus...

Die Herausforderung dieser Diagnose für die Wirtschaftspolitik der achtziger Jahre soll exemplarisch an Hand von zwei denkbaren Maßnahmepakten illustriert werden.

Erstens eine Rekonstruktion der Energieversorgung. Unreflektierte „Sachentscheidungen" haben auch Österreich in eine bedenkliche Auslandsabhängigkeit bei den fossilen Energieträgern gebracht. Spätestens die jüngsten weltpolitischen Ereignisse demonstrieren, daß die Wahl der Energietechnologien einen dominierenden Einfluß auf die übrigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausübt. Ein Ubergang von der ölgesellschaft zu einer Energieversorgung mit erneuerbaren Energieträgern wäre auch für Österreich möglich, falls einem solchen Programm Priorität in der Wirtschaftspolitik zukommen würde ..,

Zweitens, eine österreichische Entwicklungsbank neuen Typs. Nicht im Stil eines traditionellen Bankinstituts, sondern in der Gesinnung der von Kardinal König und Bundeskanzler Kreis-ky vorgeschlagenen Entwicklungskonzepte könnte Österreich mit einer solchen Institution einen sichtbaren Akt internationaler Solidarität setzen ...

Dieser Beitrag ist auszugsweise einem Aufsatz ent. nommen, den der Autor, Professor Tür Volkswirtschaft an der Universität Graz, für die „Was - Grazer Hefte für Kultur und Politik", Nr.26/I980, ge. schrieben hat.

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