6571245-1950_21_05.jpg
Digital In Arbeit

Ethnologie und Geschichtswissenschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Vor kurzem erschien unter dem Titel „Ortsbestimmung der Gegenwart“ in Zürich (Eugen-Rentsch-Verlag) der erste Band eines auf drei Bände berechneten Werkes, als dessen Autor Professor Doktor Alexander von Rüstow zeichnet. Von Röstow, seif vielen Jahren eng mit W. Röpke befreundet, verließ 1933 Hitlerdeutschland und fand Arbeits- und Lebensmöglichkeit in der neuen Türkei „unter liberalen und würdigen Bedingungen“. Nunmehr, nach einem 16jährigen Aufenthalt in der Ferne, ist er als Nachfolger von Alfred Weber nach Heidelberg berufen worden.

Alexander von Rüstow, der den Haupttitel seines Werkes „Ortsbestimmung der Gegenwart“ mit dem Untertitel „Eine •universalgeschichtliche Kulturkritik“ versehen hat, ließ schon wiederholt in früheren Publikationen seine Sympathien für die historische Ethnologie erkennen. Ausführlicher nimmt er jetzt in dem vorliegenden Bande zu dieser ganzen Frage Stellung. In einem eigenen Kapitel handelt er „über die Bedeutung der Ethnologie für die Geschichtswissenschaft“. Die Geschichte bedarf dringend einer Verlängerung nach rückwärts. Den in dieser Hinsicht am meisten zuverlässigen Weg hat, Rüstows Überzeugung gemäß auf Fr. Gräbner fußend, die „Wiener Ethnologenschule“ beschritten. Einige der markantesten hiehergehörigen Stellen dürften eines weiterreichenden Interesses sicher sein:

„Eine höchst eingehende und scharfsinnige Selbstdarstellung und kritische Selbstrechtfertigung der angewandten Methode gab Gräbner in seiner Methode der Ethnologie, Heidelberg 1911. Völlige Neubearbeitung durch P. Wilhelm Schmidt, Handbuch der Methode der kulturhistorischen Ethnologie, mit Beiträgen von Koppers, Münster 1937. Man hat diesen beiden Werken und der an sie anschließenden Literatur scholastische Überspitzung vorgeworfen. Sicher ist es nicht leicht, den Kehrseiten seiner Vorzüge zu entgehen. Aber auf jeden Fall beweisen diese Denkmäler eines ungewöhnlichen methodologischen kritischen Scharfsinns, wie sehr sich die Schule der Verantwortung bewußt war und ist, die Fundamente eines so hoch aufgeführten Gedankenbaues in entsprechender Breite und Tiefe mit entsprechender Sorgfalt und Genauigkeit zu sichern. Als illoyal muß ich es aber — gerade weil ich mich selbst von jeder konfessionellen Bindung frei fühle — bezeichnen, wenn man die .Wiener Schule' als unwissenschaftlich ablehnt, weil viele und führende ihrer Vertreter katholische Priester sind. Es gehört zu den anthropologischen Grundgegebenheiten, daß sich jedem Menschen, unvermeidlicherweise, die Welt so darbietet, wie es der Perspektive seines weltanschaulichen Standpunktes entspricht. Demgegenüber ist es die Forderung wissenschaftlicher Gewis-s e n h aftigkeit und intellektueller Redlichkeit, daß man diese seine .persönliche Gleichung' offenlegt und mit der nötigen Selbstkritik unterscheidet, inwieweit die eigenen Arbeitsergebnisse tatsachenbedingt und inwieweit sie standortsbedingt sind. Das ist für die Vertreter eines so ausgesprochenen Standpunktes wie desjenigen der katholischen Kirche leichter. Dementsprechend leistet aber auch P. Schmidt mit den Seinigen, in bezug auf strengste und gewissenhafteste Selbstkritik und Selbstkontrolle, gerade Vorbildliches und Bewundernswertes, während seine Angreifer ihren meist verwaschen-protestantischen oder vulgär-deistischen Standpunkt naiverweise für Voraussetzungs-losigkeit zu halten pflegen. Auch tradiert die katholische Kirche in Kult und Lehre so viel hocharchaische Elemente, daß von da aus der Weg zu ethnologischen

Tatbeständen und ihrem Verständnis oft wesentlich kürzer ist.“

Diesen ebenso klaren wie bedeutungsvollen Ausführungen bleibt nichts hinzuzufügen. Von Rüstow hat recht: Eine absolute Voraussetzungslosigkeit gibt es nicht. Und wenn jemand in bezug auf sich selbst gegenteiliger Meinung ist, wird es allerhöchste Zeit, daß er seinen Standpunkt einer ganz gründlichen Prüfung unterzieht.

Der Verfasser schließt diese Ausführungen mit den Worten: „Das ergibt, alles in allem, das Bild einer Übergangssituation, die uns aus der Wissenschaftsgeschichte wohl bekannt ist und die stets dem völligen Sieg einer neuen Richtung vorauszugehen pflegt. Erstaunlich ist dabei allerdings die geradezu prähistorische Langsamkeit, mit der sich die Diffusion unseres Diffusionismus, besonders im angelsächsischen Bereiche, zu vollziehen scheint. Trotzdem kann, wie mir scheint, kaum ein Zweifel daran bestehen, daß diese neuen Perspektiven und Horizonte bereits in wenigen Jahrzehnten zur selbstverständlichen Voraussetzung jeder historischen Bildung gehören werden.“

Daß diese Auffassungen und Hoffnungen dem Verfasser dieser Zeilen aus der tiefsten Seele gesprochen sind, wird man nicht verwunderlich finden. Aber „diese neuen Perspektiven und Horizonte“ werden nur dann in die historische Bildung und damit in die Allgemeinbildung eingehen, wenn von maßgebender Seite an Universität und Mittelschule die entsprechenden Vorkehrungen getroffen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung