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„Austerity-Budget“?

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Die Verhandlungen über den Bum-desvoranschlag 1966 waren die politisch interessantesten in den letzten Jahren. In ihrer Endphase wurden die Auseinandersetzungen vor allem zum Kampf um taktisch günstige Ausgangspositionen für die kommenden Nationalratswahlen. Alle anderen Gesichtspunkte, die vorher monatelang diskutiert worden sind, wurden in den Hintergrund gedrängt, übrig blieb das Bestreben, dem politischen Gegner keine Chance zu geben, sich in der öffentlichen Meinung einen Vorsprung zu erkämpfen.

Welche Partei kann es auch heutzutage riskieren, in einen Wahlkampf mit dem Stigma zu gehen, dem Preisauftrieb neue Nahrung gegeben oder größere Defizite verursacht zu haben? Der Piückzug auf die feste Verteidigungslinie des Sparbudgets begann. Der Bürger sieht es gern, wenn gespart wird.

War es früher üblich, in einem Wahlbudget das Füllhorn über die Wähler auszugießen, riet nunmehr der politische Instinkt, die Taschen eher geschlossen zu halten. Als der Endspurt der Budgetvet'handlungen begann, waren die Positionen der Ausgangsiage kaum mehr zu erkennen, aus einem Budgetentwurf mit der üblichen Wachstumsrate bei den Ausgaben wurde — zumindest für die Augen der Öffentlichkeit— ein Sparbudget destilliert, wobei ziemlich gleichgültig ist, ob ein Budgetentwurf dem Nationalrat rechtzeitig vorgelegt wird oder nicht. Die Tatsache der Positionsänderung im den Verhandlungen selbst verdient Beachtung. — Genaueres läßt sich noch nicht sagen, weil seit 1961 die unverständliche Verfassungsvorschrift existiert, daß der Inhalt des Bundesvoranschlages erst nach Beginn der Beratung im Nationalrat veröffentlicht werden darf.

Bis zu dieser letzten Phase verliefen die Verhandlungen durchaus normal. Die Beaimtengespräche im Frühsomimer brachten die üblichen unerfüllbar hohen Ressortforderungen. Im Spätsommer prognostizierten Experten die künftige Konjunkturentwicklung, hielten Ausgabenrahmen für vertretbar und Eim-nahmenschätzungen für realistisch. So ab 10. Oktober lag dann die höchste Ebene im politischen Clinch. Wie die jüngste österreichische Finanzgeschichte zeigt, ein hinreichend brauchbares Zeremoniell für ein Koalitionsregime, um — von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, wo im Laufe des Budgetjahres Korrekturen durchgeführt werden mußten — zu einem brauchbaren Budget zu kommen. Freilich, weite Sprünge, wie eine Modernisierung der budgetpolitischen Grundkonzeptionen, läßt diese Methode nicht zu, bestenfalls kleine, nicht ins Auge springende Schritte.

Der Verlauf dieser Budgetverhandlungen ließ aber eine politisch nicht ungefährliche Entwicklung deutlicher als früher erkennen. Die Parteien wagen es offensichtlich nicht mehr, aus Angst vor dem, was man „öffentliche Meinung“ nennt, offen ihre politischen Karten auf den Tisch zu legen. Die permanente Abwertung der Politik in Österreich hat dazu geführt, daß es anscheinend zu riskant geworden ist. die politischen Positionen in der Öffentlichkeit klar zu beziehen und offen zu sagen, daß es in einem Budget weitgehend um politische Probleme geht, die politisch gelöst werden müssen. Das heißt ja nicht, daß dazu kein Sachverstand nötig ist. Es muß endlich mit dem Märchen aufgeräumt werden, daß Politik durch Sachverstand ersetzt werden könnte und bisher — leider — der Sachverstand durch die Politik verdrängt worden ist. Politik und Sachverstand schließen einander nicht aus.

Die Folgen der Angst, vor der öffentlichen Meinung zu politisch zu erscheinen und potentielle Wähler abzuschrecken, sind bereits zu sehen. Wer weiß denn nach diesen Budget-venhandiuingen zum Beispiel, welchen budgetpolitischen Kurs die SPÖ zu steuern gedenkt, eine Frage, die doch einen Wähler interessieren müßte. Was will die SPÖ wirtschaftspolitisch? Allgemeine Phrasen sind zuwenig, hier geht es um sehr konkrete Anliegen. Wann, wenn nicht bei Budgetverhandlungen, sollten sie deutlich zutage treten?

Oder: aus welchem erkennbaren Grund sollte 1966 ein „Austerity-Budiget“ erstellt werden? Selbst wenn der Bumdesvoranschlag 1966 nicht rechtzeitig dem Parlament vorgelegt werden sollte und man entschlösse sich, in den ersten Monaten 1966 mit den Ansätzen für 1965 zu operieren, wäre das noch lange kein „Austerity-Budget“.

Die Angst vor der öffentlichen Meinung lähmt die politische Diskussion. Das mag paradox erscheinen, ist alber — zumindest derzeit — Realität. Weil man zu wissen glaubt, was die öffentliche Meinung als vernünftig und wichtig ansieht, wird die Argumentation daraufhin ausgerichtet. Eine fatale Lage, derm sie kann nur zu zweierlei führen. Entweder zur Entrniündigunig der Politik oder zum Spiel mit gezinkten Karten. Der kommende Wahlkampf — ob er raun im Frühjahr oder im Herbst 1966 stattfindet — wird Aufschluß geben, ob in Österreich noch ein politischer Wahlkampf geführt werden kann oder zum Maß politischen Agierens in der Öffentlichkeit die Figur des „Wohlstandskretins“ geworden ist, der es mit seinem Votum belohnt, wenn ihm Banalitäten ms Ohr geblasen werden.

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