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Die Debatte "Intelligent Design vs. Neodarwinismus" polarisiert Naturwissenschaft und Theologie. Die Prozesstheologie versucht dem entgegen einen neuen Ansatz jenseits polarisierender Denksysteme.

Ist die Welt, in der wir leben, das Ergebnis eines göttlichen Plans oder statistisch rekonstruierbarer Wahrscheinlichkeiten? Gibt es absolute, unveränderliche moralische Werte oder ist alles relativ? Der Fall "Intelligent Design vs. Neodarwinismus" hat diese alten Weltanschauungsdebatten in die Schlagzeilen gebracht, und ein Ausgleich zwischen den Gegnern, die natürlich auch politische Agenden haben, ist nicht in Sicht. Das hat viele Gründe, aber einer davon ist, dass die Theologie den radikalen Bruch im Denken, der mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften verbunden ist, kaum mitvollzogen hat. Der Fokus der Aufmerksamkeit hat sich vom Unveränderlichen, das sich nur beiläufig verändert, auf die Untersuchung der Veränderungen verlagert; auf die Analyse von Prozessen und Interaktionen. Prozessdenken wäre angesagt, wie das der englische Mathematiker und Philosoph Alfred North Whitehead (1861-1947) in seiner Prozessphilosophie unternommen hat.

Materialistische Weltsicht

John Cobb (Claremont University), der Doyen der Prozesstheologie, kritisiert den Materialismus vieler Naturwissenschafter, aber auch die Vertreter des Intelligent Design, da diese, wie er sagt, "die materialistische Sicht der Welt akzeptieren, dann richtigerweise feststellen, dass die materialistische Sicht keine adäquate Erklärung gibt, aber ihrerseits zur materialistischen Sichtweise noch eine übernatürliche Sichtweise hinzufügen".

Das Prozessdenken dagegen setzt auf Argumente statt dogmatische Feststellungen. Das macht die Prozessdenker zu interessanten Gesprächspartnern, z.B. für prominente Naturwissenschaftler wie Ilya Prigogine.

Im deutschen Sprachraum hat man die Prozessphilosophie und-theologie bisher kaum zur Kenntnis genommen. Vielen ist sie suspekt, denn der Agnostiker Whitehead untersteht sich, den Begriff "Gott" in seiner Metaphysik zu verwenden, und zugleich die Einzelnen, ihre Erfahrung und Freiheit zum Ausgangspunkt seines Denkens zu machen. Und weil das Selbstwertgefühl die Quelle religiöser Erfahrung ist, wird Religion mitbedacht.

Kein traditionelles Bild

Whitehead lehrte ab 1924 in Harvard Naturphilosophie, davor war er Professor für Mathematik in Oxford und London - ein brillanter Mathematiker und Logiker, zusammen mit seinem Schüler Bertrand Russel verfasste er die Principia Mathematica (1910-1913), das Grundlagenwerk der modernen Mathematik. Die Widersprüche im traditionellen philosophischen Gottesbild der Theologie entgehen diesem scharfsinnigen Logiker nicht - zum Beispiel die Idee der Allmacht Gottes, eines der Hintergrundargumente der Vertreter des Intelligent Design. Gott kann aus logischen Gründen nicht allmächtig gedacht werden, sagt Whitehead. Dagegen spricht nämlich die Existenz des Bösen in der Welt; aber auch die menschliche Freiheit. Diese klassischen Argumente führen bei Whitehead aber nicht zu einer atheistischen Position und zur Idee eines sinn-und zwecklosen Universums. Whitehead bestimmt den Begriff Gottes neu: Gott wirkt in der Welt nicht durch den Zwang der Allmacht, sondern durch Überredung und Verlockung der Subjekte, miteinander in Beziehung und Interaktion zu treten. Subjekte sind keine statischen Gebilde für Whitehead, sondern entstehen Augenblick für Augenblick aus dem Fluss ihrer Erfahrung. Sie sind Prozesse, die auf ihre Vollendung ausgerichtet sind. Dazu verlockt und überredet sie Gott, der schöpferische Kreativität und die Quelle aller Möglichkeiten ist, in dem sich alles vollendet. In diesem Punkt erinnert Whiteheads Gottesbild an die griechischen Kirchenväter.

Die Prozessphilosophie und-theologie hält jedoch am Kausalitätsbegriff der Naturwissenschaften fest. Doch das ist nur der eine Aspekt. Im Zentrum der Prozessdenker steht der Begriff der Kreativität, des Neuen. Alle Entitäten, die die Welt ausmachen, sind kreativ, und aus ihrem Zusammenspiel, aus ihrem kreativen Willen, zu leben und besser und schöner zu leben, entsteht die Welt. Die Welt ist daher zweckmäßig, aber zugleich den Gesetzen der Naturwissenschaft folgend.

Eigenes Tun der Lebewesen

Weder in der traditionellen Theologie noch in der Standard-Version der Evolutionstheorie wird die Eigentätigkeit der Lebewesen einbezogen. In der Theologie steht die (problematische) Allmacht Gottes im Vordergrund, und im Falle der Naturwissenschaften dominiert die von Descartes beeinflusste Vorstellung, dass Tiere eine Art von Mechanismus sind, und daher keine eigenen Zwecke und Absichten haben können. Zwar spricht die Evidenz, die etwa Besitzer von Haustieren haben, dagegen, denn offensichtlich haben Hunde, Katzen oder auch Meerschweinchen z.B. den Willen, zu fressen oder nicht gestört zu werden - von den Tieren in freier Wildbahn zu schweigen. Tiere sind für die Prozessdenker Subjekte, da sie andere Wesen beeinflussen und selbst von anderen beeinflusst werden. Diese Interaktion ist für die Prozessphilosophie die Voraussetzung, um von einem Subjekt sprechen zu können. Und weil selbst Bakterien und sogar Quanten interagieren, gelten sie im Prozessdenken als Subjekte. Das hat nichts mit der Annahme einer Lebenskraft oder Ähnlichem zu tun, sondern ist ein Ergebnis der Prämisse, dass ein Subjekt sich durch Beeinflussung und Beeinflusst - werden konstituiert.

John Cobb: "Wenn man akzeptiert, dass diese Zwecke und Wesen eine Rolle im Prozess der Evolution spielen, dann ist es möglich - aber nicht zwingend - zu verstehen, dass Gott in allen Dingen ist."

Die Autorin ist Religionsjournalistin beim ORF-Hörfunk.

RADIOTIPP

Gott im Werden. Radiokolleg

Thema: Prozesstheologie. Gestaltung: Ursula Baatz

Montag, 30. Oktober; Dienstag, 31. Oktober; Donnerstag, 2. November, jeweils 9.05 (Wh. 22.15), Ö1

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