Susan Renegan, als 11-Jährige missbraucht

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die furche: Üblicherweise meint man bei sexuellem Missbrauch durch Priester, dass Buben missbraucht wurden. Sie haben da etwas anderes erfahren.

susan renegan: Als ich missbraucht wurde, hat mir niemand gesagt, dass es sich dabei um ein "homosexuelles" Problem handelt.

die furche: Wie lange haben Sie über das, was Ihnen widerfahren ist, geschwiegen?

renegan: Ich habe mich dem Problem zunächst nicht gestellt, jedenfalls nicht, als es passierte. Ich selbst hatte ja den Priester umarmt - und er nahm das zum Anlass, mich zu missbrauchen. Ich schwor mir, meinen Eltern nie davon zu erzählen. Ich habe mich geschämt und schuldig gefühlt und war außerstande, mich jemandem anzuvertrauen. Erst 20 Jahre später habe ich begonnen, mich damit auseinanderzusetzen, und jetzt, 54-jährig, rede ich öffentlich darüber.

die furche: Hat die katholische Kirche auf Ihren Fall reagiert?

renegan: Ich habe die Kirche damit nicht befasst, weil ich überhaupt erst seit Jänner 2002 darüber spreche. Außerdem ist der Priester, der mich missbraucht hat, gestorben, als ich noch ein Teenager war. Ich habe das Ganze immer so behandelt, dass das mit mir halt passiert ist. Aber ab meinem 30. Lebensjahr habe ich mit Therapien begonnen und an meiner Heilung gearbeitet - und bin so weit gekommen, ein ganz normales Leben zu führen. Aber als im Jänner bei uns herauskam, wie die katholische Kirche auf derartige Vorkommnisse bislang reagiert hat - mit Beschwichtigungen, Schweigegeldzahlungen, mit Versetzungen von Pädophilen von einer Pfarre zur nächsten - da habe ich nachzudenken begonnen: Ist der Priester, der mich missbraucht hat, von einer anderen Pfarre in meine versetzt worden , weil er schon jemand anderem das angetan hat?

die furche: Haben Sie das Gefühl, dass die katholische Kirche sich jetzt besser verhält?

renegan: Ich glaube nicht daran, dass die Kirchenleitung sich besser verhalten wird. Aber die Laien in der Kirche beginnen zu sehen, dass sie in einer Kirche sind, wo die Macht in den Händen einer männlichen, paternalistischen Hierarchie liegt. Ich habe mit Angehörigen von Kirchenreformgruppen wie der "Coalition of Concerned Catholics" (vergleichbar der Bewegung "Wir sind Kirche" in Österreich, Anm.) gesprochen und ihnen gesagt: Ihr seid die, die Macht zur Veränderung haben! So hoffe ich, dass wir "Überlebende" und die Laien in der Kirche gemeinsam die Veränderungen zustande bringen, die absolut notwendig sind, damit auch die katholische Kirche überleben kann.

die furche: Warum nennen Sie sich "Überlebende"?

renegan: Ich war ein Opfer, als ich elf war, und ich war ein Opfer, bis ich dreißig Jahre alt war. Aber nach den vielen Jahren eines spirituellen und emotionalen Heilungsprozesses habe ich überlebt. Ich bin da, und ich bin da, um meine Geschichte zu erzählen. Das hat meinem Leben eine Wendung gegeben; ich kann aufstehen, zur Kirche zurückgehen und sagen: Das ist das, was ihr mir angetan habt. Und das hat Konsequenzen.

die furche: Gehen Sie heute noch in die Kirche?

renegan: Nein. Ich habe mich in Basisinitiativen engagiert - etwa für die Kinder von Alkoholikern oder in Familiengruppen von Alkoholikern. Diese Gruppen treffen sich in den "Kellern" der Kirche. Ich bin in dieser Hinsicht eine Ex-Katholikin im Untergrund - die dankbar wieder katholisch zu werden beginnt.

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