"Zur Vielfalt ist Mut nötig"

Werbung
Werbung
Werbung

Die österreichische Außenministerin über den vermeintlichen "Kampf der Zivilisationen" und die kulturelle Vielfalt als weltpolitische Herausforderung.

die furche: Manche sehen den 11. September als Tag der Wahrheit für Samuel Huntingtons These vom bevorstehenden "Clash of Civilizations". Teilen Sie diese Ansicht?

Benita Ferrero-Waldner: Der 11. September war sicherlich ein Weckruf für unser Bewusstsein, für unser Begreifen der Entwicklungen in unseren Gesellschaften auf lokaler, regionaler und globaler Ebene. Samuel Huntingtons Thesen vom "Kampf der Zivilisationen" sind zwar griffig, entsprechen aber nicht der Wirklichkeit. Weder können wir die heutige Welt über großflächige regional determinierte Zivilisationen verstehen, noch ist die Herausforderung des Umgangs mit Andersheit, mit Vielfalt etwas Neues. Früher war einfach die Zahl der Personen, die der Vielfalt an Identitäten in unserer Welt ausgesetzt war, sehr beschränkt. Die Gesellschaften bedienten sich der Diplomaten, um mit dem Anderen umzugehen. Denken Sie nur an die Rolle der Auslandskulturpolitik in unserer Diplomatie. Heute ist jeder von uns gefordert, sich mit der Vielfalt, die Teil unserer Gesellschaften geworden ist, auseinanderzusetzen.

die furche: 2001 war das UN-Jahr des Dialogs der Kulturen. Wie hat sich der 11. September auf diesen Dialog ausgewirkt?

Ferrero-Waldner: Die Relevanz der Bemühungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und seines Sonderbeauftragten hat sicherlich an Sichtbarkeit gewonnen. Seine These, Vielfalt nicht als Bedrohung sondern als Bereicherung begreifen, darf aber keinen Ablenkungsmanövern erliegen. Die Dimensionen der Vielfalt sind nicht auf Kulturelles oder Religiöses zu beschränken. Gerade im Schock des 11. September müssen wir den Mut aufbringen und Visionen entwickeln, uns der Vielfalt der Welt zu erfreuen.

die furche: Der Dialog der Religionen entpuppt sich meist als "Gipfeltreffen" der Religionsführer. Welche Bedeutung messen Sie diesen Treffen bei?

Ferrero-Waldner: Der Dialog der Religionsführer erfüllt eine ganz bedeutende Aufgabe, nämlich den Gläubigen der verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu signalisieren, dass der Andersgläubige nicht nur zu tolerieren, sondern Mitglied einer umfassenden Menschheitsgemeinschaft ist. Aus diesem Grunde habe ich in der Vergangenheit, und zwar schon lange bevor derartige Dialogveranstaltungen politisch gefordert wurden, mich für den Dialog zwischen Christentum und Islam insbesondere eingesetzt. Mein Ressort hat in den letzten Jahren eine bedeutende und international anerkannte Rolle in diesem Bereich übernommen. Unsere Bemühungen wurden nicht zuletzt auch von der Erkenntnis getragen, dass der Dialog der Religionen dazu beitragen kann, die Gemeinsamkeit von Werten herauszuarbeiten, wie etwa den Nachweis zu führen, dass sämtliche Normen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durchaus in den Glaubenssätzen und Schriften aller Weltreligionen ihre Deckung finden.

die furche: Welche (politische) Rolle erkennen Sie den Religionsführern zu?

Ferrero-Waldner: Wenn Sie "politisch" als "macht-bezogen" verstehen, dann keine. Führer von Glaubensgemeinschaften erfüllen jedoch eine ganz bedeutende gesellschaftliche Rolle, indem sie Träger von Werten sind, die Gemeinschaften bilden und auf denen Gesellschaften ganz allgemein aufbauen können.

die furche: Die UN-Vollversammlung hat eine »Global Agenda for Dialogue among Civilizations« proklamiert. Im Dialog soll ein ethischer Grundkonsens erarbeitet werden. Kann das Bewusstsein über gemeinsame Werte die interessengeleitete Weltpolitik verändern?

Ferrero-Waldner: Die Weltpolitik ist kein eindimensionaler Mechanismus. Auch in unserer nationalen Politik spielt immer eine Vielfalt von Faktoren in den Entscheidungsprozessen eine Rolle. Staaten wie Österreich, die in der Staatengemeinschaft eine Politik verfolgen, die sich weniger an den Partikularinteressen unseres Landes als vielmehr an den Staatengemeinschaftsinteressen orientiert, hält auch das Entstehen einer gesellschaftlichen und politischen Kultur der Vielfalt für ein dringendes Ziel. Ich habe deshalb nicht nur vor der Millenniums-Versammlung der Vereinten Nationen im Herbst 2000 eine auf den Werten des Schutzes der Menschenrechte aufbauende globale Gesellschaftskultur gefordert, sondern auch Professor Hans Küng im vergangenen Sommer zum Salzburger Dialog der Zivilisationen eingeladen. Eine gesellschaftliche Entwicklung, in der dem Einzelnen eine immer größere Rolle als Handelnder wie auch als Opfer der globalen Veränderung zukommt, hängt immer mehr von den Wertstrukturen der Bürger und der Gesellschaften, in denen sie leben, ab. Interessen werden sicher verfolgt werden, doch unter der Konditionalität gemeinsamer Werte.

die furche: Welchen Niederschlag hat das Projekt Weltethos bisher in der internationalen Politik gefunden?

Ferrero-Waldner: Das "Projekt Weltethos" ist im Bau befindlich. Dennoch hat in den vergangenen Jahren ein Umdenken in der globalen Politik stattgefunden, die den Menschen zunehmend in den Mittelpunkt gestellt hat. Denken Sie nur an die wachsende Rolle der Zivilgesellschaft in der Formulierung globaler gesellschaftlicher Zielsetzungen. Die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes wäre ohne eine vom überwiegenden Teil der Menschheit geteilte Wertstruktur politisch kaum möglich gewesen. Die Entwicklungen bei Menschenrechten und in der humanitären Solidarität sind ein Barometer, an dem der Fortschritt des Projektes Weltethos durchaus abgelesen werden kann.

die furche: Manche meinen, der 11. September hätte das Projekt Weltethos als Illusion entzaubert. Welche Chance geben Sie diesem Unternehmen?

Ferrero-Waldner: Es ist immer billig, Werte und Visionen als Illusionen abzutun. Andererseits haben empirische Studien der letzten Jahre nachgewiesen, dass Gesellschaften, die keine Visionen hegen, fremdenfeindlich, veränderungsfeindlich und autoritätssüchtig werden. Das heißt aber, dass wir die Fähigkeit zur Vielfalt unserer Welt dann verlieren, wenn wir nicht mehr begreifen, wohin sich unsere Weltgesellschaft entwickeln soll. Eine weltweit von allen Menschen geteilte gesellschaftliche Kultur auf der Grundlage des Schutzes der Menschenrechte ist sicherlich noch nicht vollendete Wirklichkeit sondern noch ein Ziel, aber mit dem Potenzial einer Vision, die uns helfen kann, die Herausforderungen der Vielfalt an Identitäten und Wahrheiten zu meistern.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

Für dieses Interview wurde vom Außenministerium ein Druckkostenbeitrag geleistet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung