Daims Schatz-Fund

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Die "Stimme der Arbeit" war 1929 druckfertig, 1999 konnte das Buch endlich erscheinen.

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Die "Stimme der Arbeit" war 1929 druckfertig, 1999 konnte das Buch endlich erscheinen.

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Stimme der Arbeit" sollte das Buch heißen, und es hätte 1929 erscheinen sollen, ein großformatiger Band mit zehn Holzschnitten von Otto Rudolf Schatz und einem Text von Ernst Preczang in einer Auflage von ein- bis zweitausend Exemplaren. Ein bibliophiles Buch, aber für jene bestimmt, von denen es handelte - die Arbeiter. Wahrscheinlich ist dem Verlag, der Büchergilde Gutenberg, das Geld ausgegangen. Oder sollte es einen Konflikt wegen der Aggressivität dieser Holzschnitte gegeben haben? Kein Brief, der uns darüber Aufschluß geben könnte, ist erhalten. Otto Rudolf Schatz überlebte die letzte Kriegsphase in einem jener Arbeitslager, die zum Teil ärger waren als ausgewiesene Konzentrationslager wie Mauthausen. In seinem Atelier hatte die Gestapo gewütet.

Genau 70 Jahre nach dem einst geplanten Erscheinungstermin ist das Werk nun doch noch erschienen. Stark verspätet, aber als echte Erstausgabe - ein wahres Gustostück für jeden Kunstfreund und Bibliophilen, und erst recht für Leute, die beides sind. Zumal das Werk mit einem Preis von 570 Schilling auch für jedermann erschwinglich ist (in Wien ist es unter anderen in der Kunstbuchhandlung Wolfrum erhältlich). Der Erstdruck ist Wilfried Daim zu verdanken. Die späte Publikation ist sozusagen das Geschenk eines begeisterten Kunstsammlers an die Bibliophilen. Der berühmte Satz von den Schicksalen der Bücher stimmt in diesem Fall besonders, denn "Stimme der Arbeit" war ja nicht einmal ein vergessenes Buch, sondern eines, das nie das Licht der Welt erblickt hatte. Der ehrgeizige Plan wäre dahin und verweht, hätte nicht Wilfried Daim vor vielen Jahren in New York die aus Wien stammende Galeristin Helen Serger gefragt, ob sie vielleicht Arbeiten von Otto Rudolf Schatz habe. Hätte er nicht um rund 50 Dollar einen Stoß von etwa 50 Holzschnitten erworben.

Er hatte um 1970 begonnen, Otto Rudolf Schatz zu sammeln. Der 1900 geborene, 1961 früh verstorbene Schatz war damals schon halb vergessen. Nach 1945 hatte der damalige Kulturstadtrat Viktor Matejka Schatz gefördert. Aber nach Matejkas Abgang hatte Schatz nicht zuletzt wegen einer in einer handschriftlichen Widmung niedergelegten boshaften Bemerkung über die verschlafene Rathaus-Beamtenschaft genau dort, nämlich im Wiener Rathaus, wenig Freunde. Daims erster Kontakt mit dem Werk von Schatz war spontan, impulsiv, emotional. Ein ganz bestimmter Holzschnitt hatte es ihm angetan: Ein "Herr" besteigt einen Fiaker. In dem Blick, mit dem der Kutscher seinen Fahrgast betrachtet, ist Wut. Das Bild ist für Daim Inbegriff des Klassenkampfes. Er war bei Schatz von der Verbindung eines intensiven sozialen Engagements mit einer ebenso intensiven Expressivität begeistert. Nicht zuletzt durch die Begegnung mit dem Werk von Schatz entdeckte er die Kunst der Zwischenkriegszeit und begann sie zu sammeln. In "Stimme der Arbeit" findet beides, das soziale Engagement des Künstlers Schatz und sein zupackender, aggressiver Holzschnittstil, zum höchsten Ausdruck.

Vor allem aber ist "Stimme der Arbeit" ein großes graphisches Dokument der ausgehenden zwanziger Jahre. Da wirft der Boß noch höchstpersönlich die Arbeiter auf die Straße, da wird ihm noch mit Fäusten gedroht, während im Hintergrund die Entlassenen mit einem Karren ihre Habe wegführen. Da krempeln sich die Roten noch die Ärmel auf, da werden noch Fahnen geschwungen, da klammert sich das Kind noch an den Rock der Mutter, da tritt die Staatsgewalt dem Arbeiter noch unter der Pickelhaube entgegen. Da gilt noch das Wort Solidarität, da heben sich noch die Hände zum Schwur: "Einer für alle!" Da sitzen die Arbeiter noch bildungsbeflissen in der Bibliothek über Bücher gebeugt, da heißt Wissen noch Macht und nicht Informationsüberflutung. Da rauchen noch die Schlote, da packen noch Menschen mit schwieligen Händen zu und nicht die Greifarme der Montageroboter. Die Bilder bieten, so der Psychologe Wilfried Daim in seinem Nachwort, "Einblick in das damalige sozialistische Affektsystem ... dessen Problematik ... durch das Charakteristikum ,pathetisch' mehr zugedeckt als erklärt wurde."

Daims New Yorker Erwerbung bestand aus einem Zyklus von Holzschnitten und Blättern, auf denen der dazugehörige Text mit großen Buchstaben, angereichert mit verschiedenen Schmuckelementen, ebenfalls in Holz geschnitten war. Er erkannte schnell, daß er zumindest einen Teil der "Stimme der Arbeit" vor sich hatte. Er hatte von dem geplatzten Projekt gehört. Was er noch nicht ahnen konnte: Sein Konvolut war nahezu vollständig, nur zwei Textseiten fehlten. Die konnte er viel später aus einer anderen Wiener Privatsammlung ergänzen.

Der Text von Ernst Preczang entstand 1916 und war bereits zweimal in verschiedenen Fassungen unter verschiedenen Titeln publiziert worden, als ihn der Autor für die geplante Sammlerpublikation der Büchergilde Gutenberg unter neuem Titel überarbeitete. Der 1870 geborene gelernte Buchdrucker Preczang war ein zu seiner Zeit geachteter Schriftsteller und zeitweise Cheflektor der Büchergilde, doch eine Wiederentdeckung trüge sein Werk heute wohl nicht. Er emigrierte 1933 in die Schweiz, wo er 1949 starb. Otto Rudolf Schatz machte sich mit seinen zehn Holzschnitten denn auch völlig unabhängig vom Text. Schon bei der Zusammenarbeit mit dem Arbeiterdichter Josef Luitpold Stern hatte er es so gehalten. Der Maler Schatz profilierte sich nämlich schon mit 20 Jahren als Illustrator kostbarer Sammlerpublikationen. "Stimme der Arbeit" könnte sein Hauptwerk auf diesem Gebiet sein, eines seiner Hauptwerke überhaupt ist es allemal. Ums Haar wäre es nie erschienen.

Nun ist es der seltene Fall einer Erstausgabe, die als Facsimile erscheint. Es konnte nicht, wie dereinst geplant, direkt von den Holzstöcken gedruckt werden. Nur von wenigen Holzschnitten Schatz' sind die Stöcke erhalten, von "Stimme der Arbeit" ist keiner dabei.Wahrscheinlich wurden sie von der Geheimen Staatspolizei vernichtet. Nun wurde nach den zum Glück erhalten gebliebenen, in New York aufgetauchten Originalabzügen des Künstlers in hervorragender Qualität gedruckt. Vielleicht kann dieses Buch dazu beitragen, daß auch Wien, sein rosa Wien, diesen Künstler in einer Weise zur Kenntnis nimmt, die seinem Rang, oder sagen wir ruhig: seiner Größe, entspricht. Die nach Otto Rudolf Schatz benannte Straße gibt es in St. Pölten und nicht in Wien.

Stimme der Arbeit. Von Ernst Preczang, mit zehn Holzschnitten von Otto Rudolf Schatz, NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst in Zusammenarbeit mit Dr. Wilfried Daim, St. Pölten 1999, öS 570,-/e 41,42

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