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Aufbruch des Irrationalen
Was Theaterleute schon seit langem versucht haben, scheinen Wiens Galeristen und Museumsdirektoren nun nachzuvoll-ziehen: Die Wiederentdeckung und Neubewertung der verschwiegenen und vergessenen Vergangenheit. Die Hölzel-Re-trospektive in der Galerie nächst St. Stephan war ein erster Schrittu Otto Rudolf Schatz im Wiener Künstlerhaus schließt nahtlos ah. Von der Kunstgeschichte und. von Museen vergessene Maler erleben eine Renaissance.
Was Theaterleute schon seit langem versucht haben, scheinen Wiens Galeristen und Museumsdirektoren nun nachzuvoll-ziehen: Die Wiederentdeckung und Neubewertung der verschwiegenen und vergessenen Vergangenheit. Die Hölzel-Re-trospektive in der Galerie nächst St. Stephan war ein erster Schrittu Otto Rudolf Schatz im Wiener Künstlerhaus schließt nahtlos ah. Von der Kunstgeschichte und. von Museen vergessene Maler erleben eine Renaissance.
Im Fall Schatz liegen die Dinge allerdings etwas anders als bei Holzel Es gab einen Kunstinteressierten, der Schatz-Bilder sammelte. Der Wiener Publizist und Psychologe Wilfried Daim hatte kontinuierlich fast alle Schatz-Werke aufgekauft. Vor kurzem ließ er die Graphiken in Graz ausstellen und löste damit neues Interesse an dem 1961 verstorbenen Maler aus. Im Künstlerhaus sind nun neben den Graphiken auch die Aquarelle und Ölbilder aus der Sammlung Daim zu sehen. Eine fast vollständige Schau also, ein Denkmal - und das zu Recht.
Daß Expressionismus und Neue Sachlichkeit nicht so einfach an Österreich vorbeigegangen sind, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, hat Oswald Oberhuber schon vor zwei Jahren in einer Art Retrospektive zu demonstrieren versucht. Otto Rudolf Schatz ist ein weiteres Beispiel dafür. Der Expressionismus als Aufschrei der Seele, als Rebellion gegen eine Gesellschaft, in der die Entfremdungsmechanismen zusehends deutlicher hervortraten, Expressionismus aber auch als Negierung einer harmonisierenden, an der Realität vorbeilebenden Kunst. Im Expressionismus zerstörten Literatur und Bildende Kunst die bis dahin anerkannten Formen und Gattungen mit einer noch nie dagewesenen Radikalität, fanden Bildende Kunst und Literatur noch einmal zu einer Einheit, einer thematischen Gemeinsamkeit zusammen. Maler und Graphiker illustrierten Bücher, versuchten, das visuelle Moment dem sprachlichen anzugleichen, mit „Ex-pressivität“ zu ergänzen, was Sprache nur unzureichend wiedergeben konnte.
In dieser Zeit - Ende der Monarchie, Weltwirtschaftskrise, sich abzeichnender Faschismus - bildeten Literatur und Kunst vielleicht das letzte Mal noch ein enormes sozialkritisches Potential, standen Engagement und Stellungnahme an vorderster Stelle der ästhetischen Normen. In dieser Zeit malte auch Otto Schatz, Schüler von Oskar Strnad und Anton von Kenner. Und auch er nahm Stellung, kompromißlos, fand eine Form, die ihm das erlaubte. Scharfe Kontraste, die Reduzierung auf das Wesentliche, auf psychische Momente, der Ausbruch aus einer beschönigenden Malerei, die oberflächlich abbildete. „Der Ausdruck der Seele“ sollte sichtbar gemacht werden, gedankliche Momente sollten sich zu einer Form verhärten. Der Kontrast, der Wechsel zwischen Schatten und Licht, wurde zum Formprinzip. Deshalb bot sich der Holzschnitt auch als Medium an. Gesichter reduzierten sich auf Augen, man vergröberte bewußt, strich heraus, was man sagen wollte. Zu ungestüm vielleicht, zu wenig differenziert, jedoch mit Engagement. Die Einsamkeit, die Depressivität, die abgrundtiefe Verlorenheit des Menschen, die Ohmacht einer sich verschärfenden Krise gegenüber - das waren die Themen von Otto Schatz.
Und damit ging er konform mit den deutschen Expressionisten, deshalb illustrierte er auch Bücher wie den Roman des Sozialdemokraten Josef Luitpold Stern „Der entwurzelte Baum“, oder Romane von H. G. Wells, Jack London, Upton Sinclair, die ein ähnliches politisches Anliegen vermitteln wollten wie Schatz selber mit seinen Bildern.
Die Graphiken, aber auch die Ölbilder, sind bedrohlich, dumpf, strahlen Angst aus und Verzweiflung, individuelle wie kollektive Trauer, kollektive Ängste, wie die in Amerika entstandenen Städtevisionen mit in den Himmel wachsenden Wolkenkratzern, die immer weiter zu steigen, den Menschen zu erdrücken scheinen.
Immer wieder auch das Thema Liebe, Sexualität, Erotik. Etwa in dem Bild „Europa“, oder in dem berühmten Holzschnitt „Das Liebespaar“. Hier wird eine starke Sinnlichkeit, eine laszive Erotik sichtbar, dabei aber totale Einsamkeit, die durch nichts zu überbieten ist.
Schatz hatte Ende der dreißiger Jahre nach Amerika emigrieren müssen, kehrte zwar nach dem Ende des Krieges wieder nach Österreich zurück, doch ausgelaugt, mit Ausnahme der Entwürfe, für die Fassadengestaltung des Westbahnhofes brachte er kaum mehr Nennenswertes zustande. Diese Entwürfe wurden zwar preisgekrönt, aber nicht ausgeführt und in einem Vandalenakt schonungsloser Leute im Verkehrsministerium verbrannt wie Wilfried Daim zu berichten weiß.
Mit dieser Ausstellung ist seine Wiederentdeckung aber noch nicht abgeschlossen, eine ästhetische Auseinandersetzung mit seinem Werk bleibt noch zu leisten. Die vorher in Graz gezeigte Ausstellung im Künstlerhaus dürfte man sich auf keinen Fall entgehen lassen, auch nicht das Buch (das zugleich der Ausstellungskatalog ist) mit Schatz' Graphiken und den Texten von Wilfried Daim, Dokumenten einer sehr persönlichen Beziehung zu einem Maler, zu Kunst überhaupt. (Edition Reetzer, Eisenstadt, 144 Seiten, 63 Abbildungen, öS 150,-)
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