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Die Problematik des Existentialismus

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Die sich ständig ausbreitende'Existentialismusdiskussion läßt nicht selten das nötige Sachverständnis vermissen, das gerade dieser umstrittenen Position gegenüber ein Gebot wissenschaftlicher Verantwortung darstellen müßte. Eine eindringende Erkenntnis der Motive und Anliegen existentiellen Philosophierens muß jedoch noch keineswegs unkritische Übereinstimmung mit seinen Denkgehalten bedeuten“. So hat denn auch die jüngste päpstliche Enzyklika, die unter anderem auch den Existentialismus zurückweist, die verantwortlichen katholischen Gelehrten expressis verbis zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Problemen und Gehalten dieser Denkrichtung aufgefordert, um jenen Wahrheitskern herauszuschälen, von dem aus die verbindenden Fäden zu dem umspannenden Denkgefüge der perennen Philosophie sichtbar werden können, einer Philosophie, die uns bei Thomas von Aquin in ihrer klassischen Gestalt entgegentritt.

Dieser Weisung der Enzyklika hat denn auch der/ internationale Thomisten-kongreß, der vom 11. bis 19. September dieses Jahres in Rom stattfand, Genüge geleistet. Theologen und Philosophen aus den verschiedensten Ländern und Staaten haben in einer Fülle von ausgezeichneten Referaten eine wissenschaftliche Gesamtleistung von hohem Rang erbracht, die in anerkennenden und richtungweisenden Worten des Papstes die höchste Würdigung erfuhr und in ihrem geplanten literarischen Niederschlag noch fruchtbare Auswirkungen zeitigen wird. Es gab aber kaum ein Referat, das sich nicht unmittelbar oder mittelbar mit der Probiet matik des Existentialismus beschäftigt hätte. Darin erwies sich einerseits der zeitnahe Aspekt dieser wissenschaftlichen Tagung, andererseits die dieser Denkrichtung zugemessene Bedeutung für die philosophische Diskussion der Gegenwart, überdies wurde zum Abschluß des von Kardinal Pizzardo präsidierten und vom Generalsekretär C. Boyer S. J. geleiteten Kongresses bekanntgegeben, daß die Thomasakademie zu Rom mit der Abfassung eines Kommentars zur Enzyklika „Humani generis“ beauftragt ist. Diese Sachlage legt einige Erwägungen zum Begriff und Problem 'des Existentialismus nahe:

Der Name Existentialismus bezeichnet eine Denkrichtung, die — um nur die bekanntesten Vertreter anzuführen — durch den Dänen Sören Kierkegaard, durch die Deutschen Jaspers, Heidegger und Petej Wust, durch die Franzosen J. P. Sartre, Camus, Gabriel Marcel, durch die Russen Solowjew, Berdjajew und Chestow und durch den Engländer Kardinal Henry Newman repräsentiert wird. Per ausführliche „existentialistische Stammbaum“ findet 6ich bei E. Mounier, Einführung in die Existenzphilosophien, Seite 11). Wer diese unterschiedliche Repräsentation bedenkt, wird der differenzierten Struktur des Phänomens gewahr, das wir mit dem Worte Existentialismus zusammenfassend bezeichnen möchten. Doch ist es offenbar sachlich nicht gerechtfertigt, Denker, wie Kierkegaard oder Kardinal Newman, mit dem modernen Atheisten Sartre in den gleichen- Topf einer vagen Kollektivbezeichnung zu werfen. Dazu kommt noch, daß einige in solchen Zusammenhang gereihte Denker, wie Jaspers und Heidegger, sich ausdrücklich dagegen verwahren, zum Existentialismus gerechnet zu werden (und dies längst vor dem Erscheinen der angeführten Enzyklika). So schreibt Jaspers im „Bulletin de la Societe francaise de philosophie“ 1947: „Der Existentialismus ist der Tod des existentiellen Philosophierens“ (a. a. O. S. 87). Und Heidegger verweist im Humanismusbrief an Jean Beaufrai, daß „der Hauptsatz von Sartre über den Vorrang der existentia vor der essentia den Namen Existentialismus rechtfertigt als einen dieser Philosophie gemäßen Titel („Piatons Lehre von der Wahrheit“ 1947, S. 73). Und in der Tat, es ist J. P. S a r t r e selbst, der das Wort „Existentialismus“ als Name und Kennzeichnung seiner Denkrichtung ausdrücklich für sich in Anspruch nimmt (in „Existentialisme et un humanisme“ 1946, S. 17). Heidegger hingegen hat gerade solchen Existentialismus radikal überwunden. Es geht ihm nicht um eine Metaphysik der Existenz, sondern um eine Fundamental-ontologie. Auf die Schwierigkeit und Problematik seines an sich bedeutsamen Beginnens können wir hier nicht eingehen. Wir wollten hier nur auf die radikale Verschiedenheit der Positionen Sartres und Heideggers aufmerksam machen, die durch die gemeinsame Bezeichnung „Existentialismus“ verdeckt wird.

Und doch kann die Frage gestellt werden, ob die verschiedenen Gestalten und Ausprägungen „existentiellen Denkens“ (dies die einzige gemeinsame Bezeichnung, die dem Anspruch logischer Genauigkeit standhielte) ein Gemeinsames haben, das ihre Zusammenfassung ermöglicht und worin dieses bestünde. Dieses Gemeinsame ist offenbar ein besonders akzentuiertes Verhältnis des philosophischen Denkens zur Existenz des Menschen. Es ist die von uns allen erfahrene und erfahrbare Bedrohtheit der menschlichen Existenz im gegenwärtigen Zustande der Zivilisation, die das konzentrierte philosophische Denkbemühen um ihre Rettung und Sicherung erweckte. Es wurde diesem Denken klar, daß die Existenz des Menschen in der gegebenen Situation nicht mehr durch wirtschaftliche und politische Maßnahmen und Systeme gesichert werden kann, sondern nur in einem neuen gewaltigen Aufbruch und Ursprung der wesenhaften Wirklichkeit des Menschen, der sich nur in transzendenter Rückverbindung zu den letzten Quellen und Urgründen des menschlichen Daseins ereignen kann, wie sie sonst nur der Religion möglich und zugänglich ist. Denn ebenso wie die Existenzphilosophie aus der konkreten Situation der Zeit emporsteigt, so geht sie über d hinaus in die letzte metaphysische Grundtiefe der angst- und drangvollen menschlichen Situation, um aus diesem Purgatorio der Gegenwart für den Menschen neue Daseinsmächtigkeit und Möglichkeit für die Zukunft zu gewinnen. In diesem Sinne ist natürlich Existenzphilosophie eine zeitgemäße Metaphysik des Menschen, ja noch mehr: der religiös-mystische Aufbruch der ewigen Idee des Menschen, die in der ungeheueren Wirrsal der Gegenwart zu verfallen und unterzugehen droht. Diese Existenzphilosophie ist allerdings heute noch zu sehr geistiger Erregungszustand eines um seinen Bestand Tingenden, tief aufgewühlten Menschentums und nicht das geklärte Phänomen einer Gestaltung des philosophischen Genius. Es kann aber heute schon kein Zweifel mehr bestehen, daß die fruchtbaren Ansätze dieses neuen metaphysischen Urgrunddenkens mit den unverlierbaren Positionen der perennen

Philosophie zu einer für die Zukunft gültigen Synthese erwachsen werden, wenn erst die Phase terminologisch stammelnder Erregtheit und Unklarheit überwunden und die Phase einer neuen denkerischen Gestaltung auf dem Boden der strengen Logik eines neuen integralen Denkens erreicht sein wird.

Inzwischen haben wir die große Auseinandersetzung zu leisten, die den Weizen vom Spreu sondert: jene positiv-, kritische Sichtung, die von der Enzyklika „Humani generis“ ausdrücklich gefordert wird mit den Worten: „Den Theologen und katholischen Philosophen, denen die schwer verpflichtende Aufgabe obliegt (grave incumbit munus), immer auf die göttliche und menschliche Wahrheit ihr Augenmerk zu lenken und sie den Menschen einzupflanzen, ist es nicht erlaubt, diese mehr oder weniger vom rechten Wege abirrenden Lehrmeinungen zu ignorieren oder zu vernachlässigen (neque ignorare neque negligere licet).“ Und der Grund dafür: „Weil häufig selbst in falschen Ansichten etwas Wahres (aliquid veritatis) verborgen liegt.“

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