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Gegen Staatsphilosophie und Orthodoxie

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Trotz solcher schwelender Konflikte kam es zu echten geistigen Debatten von hohem Niveau. Die westlichen Marxisten, vor allem Garaudy und Luporini, beide Professoren der Philosophie, beide unter dem Druck ständiger Auseinandersetzung mit nichtmarxistischen Fakultätskollegen, stellten für die moderne Theologie, vertreten durch Metz und Congar, Fries und Molt-mann, ideale Gesprächspartner dar, für die sowohl Existentialismus als auch Teilhard de Chardin fast schon zum täglichen Brot gehören. In Osteuropa ist eine solche Auseinandersetzung erst in den Anfänger, die marxistische Staatsphilosophie aus der stalinistischen Ära weithin noch dogmatisiert. So überwogen zwar rein zahlenmäßig die Vertreter marxistischer Orthodoxie — doch gab es unter der jungen Garde, vor allem der tschechischen Marxisten, bemerkenswerte Ansätze zu einem pluralistischen Marxismus, zum Abbau von Dogma und Orthodoxie, zu einer Neubesinnung auf die philosophischen Grundlagen; Ansätze, die in der prinzipiellen politischen Forderung nach dem Abbau der Staatsphilosophie, des geistigen Monopolanspruchs des Marxismus gipfelten — eine Forderung, die vom italienischen Kommunismus zwar schon seit längerer Zeit erhoben wird, hier aber — auf dem Boden des kommunistischen Macht- und Meinungsmonopols — ein ganz anderes politisches Gewicht erhält.

Diesen, wenn auch noch vereinzelten Ansätzen zum Umdenken stand auf christlicher Seite die Avantgarde katholischer und evangelischer Theologie gegenüber. Professor Johann Baptist Metz aus Münster,Rahner-Schüler und einer der theologischen „Zugvögel der Zukunft“, wie ihn Friedrich Heer in Wien einmal nannte, zog in seinem Eröffnungsreferat gegen die Privatisierungstendenzen der neueren Theologie zu Felde. Die eschatologischen Verheißungen — Freiheit, Friede, Gerechtigkeit, Versöhnung — könnten nicht privatisiert werden, die christliche Religion sei vielmehr eine „Institution schöpferischer Geselschaftskrditdk“. Christliche Liebe dulde keine Einschränkung auf den interpersonalen Bereich der Ich-Du-Beziehungen oder eine rein karitative Nachbarschaftshilfe, sie habe eine eminent gesellschaftliche Funktion. An diese revolutionierenden Thesen zum Verhältnis von Religion und Gesellschaft schloß Professor Congar, der französische Konzilstheologe, in zwar weniger kühner Terminologie, doch keineswegs weniger kühnen Gedankengang an: Entgegen allen idealistischen und pla-tonisierenden Verfremdungen des Christentums sei der Glaube „leitende und bewegende Utopie“ zur Veränderung der Welt — auf Grund des christlichen Begriffs der Schöpfung, die nicht als einmal gesetzter Akt Gottes, sondern als ständiger Prozeß der sich selbst in der Geschichte schaffenden Menschheit verstanden werde, auf Grund des prophetischen Charakters des Christentums, dessen Geschichte die Verwirklichung seiner Eschatologie sei.

Diese kühne Sprache einer Theologie stellte für die Marxisten eine gewaltige geistige Herausforderung dar: sie zwingt den Marxismus, seinerseits die Frage zu entdecken, die das Christentum durch Jahrhunderte fast ausschließlich beschäftigt hatte. Die Frage nach dem Menschen.

Einer der jungen marxistischen Theoretiker der tschechischen Akademie, Prucha, versuchte den Marxismus als „Philosophie der menschlichen Existenz“ durch den Begriff der Entfremdung zu rehabilitieren, die in den frühen Schriften Marx' nicht nur ökonomische, sondern existentielle Wurzeln habe. Die marxistische Philosophie müsse sich heute in die Auseinandersetzung mit allen Strömungen der Philosophie begeben, um auf die vom Christentum provozierten Fragen Antworten zu finden. Als „Kernfrage des künftigen Marxismus“ bezeichnete auch Professor Machovec aus Prag, einer der engagiertesten Befürworter des Dialogs mit der Theologie, die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz. Der Marxismus müsse sich heute bemühen, alle, Transzendenzsurrogate, wie Geschichte, Gesellschaft, Zukunft, Staat, abzubauen.

Eine „Philosophie des Menschen“ zu finden, die sich nicht in Abstraktionen verliert, sondern auch die gesellschaftlich-geschichtliche Dimension einschließt, erklärte auch Garaudy zur zukünftigen gemeinsamen Aufgabe von Christen und Marxisten. Auf den Vorwurf Mianos,des Vertreters des römischen Sekretariats für die Ungläubigen, ein Humanismus ohne Gott sei ein Humanismus, der sich letztlich gegen den Menschen richte, antwortete Garaudy: „Was wäre Ihr Glaube, wenn er nicht in sich diesen latenten Atheismus trüge, der verhindert, einem falschen Gott zu dienen? Was wäre unser Atheismus, wenn er von Ihrem Glauben zwar nicht die Transzendenz eines Gottes lernen würde, von dem wir keine erlebte Erfahrung haben, aber die Transzendenz des Menschen, dessen volle Entfaltung erfordert, daß er sich niemals damit begnügt, was seine Vergangenheit aus ihm macht?“

„Wenn wir uns auch nicht direkt und unvermittelt über das einigen können, was Freiheit, Friede und Gerechtigkeit positiv sind“, replizierte Metz, „so haben wir doch eine lange und schmerzliche Erfatoirung dessen, was Unfreiheit, Unfriede und Ungerechtigkeit sind. Was wir vom Menschen nicht wissen, ist das Stimulans gemeinsamer Diskussionen.“

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