Politisierung durch Polarisierung

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Wenn es von nun an um Österreich geht, muß man die Träger der neuen Protestbewegung mitdenken.

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Wenn es von nun an um Österreich geht, muß man die Träger der neuen Protestbewegung mitdenken.

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Seit den achtziger Jahren ist die Wählerschaft in Bewegung. Das Parlament ist durch mehr Parteien lebendiger geworden. Eine neue Gesellschaft schlüpfte aus den Eierschalen der alten. Auf der Regierungsebene und in der Sozialpartnerschaft war zu viel erstarrt. Es fehlte das Wechselspiel. Es fehlte eine Erneuerung der Demokratie. Politik wurde entpolitisiert.

Anfangs 2000 kam es zum Wechsel, zu einer Polarisierung, zu einer neuen Politisierung. Blau-Schwarz stehen als Koalition Rot-Grün als Opposition gegenüber. Neue Spaltungen und Spannungen entstanden. Hatte früher der rot-schwarze Mantel Gegensätze und Widersprüche zugedeckt, so ist jetzt vieles aufgedeckt und offen. Erkannte man früher nach Erhards Buseks Formulierung den Kompromiß, ehe noch der Konflikt entstanden war, so gibt es nach der Formel von Trautl Brandstaller derzeit vor lauter Konflikt fast keinen Konsens mehr (Furche 9).

Wo ist der Grundkonsens? Formell ist er in den Verfassungen Österreichs und der EU: Die sogenannte "Präambel" wiederholt ihn. Aber es gibt viel informellen Dissens. Die anderen EU-Mitgliedsstaaten signalisieren ihn von außen, die Demonstrationen von innen. Die Signale von innen sind die wichtigen. Der Widerstand gegen Blau-Schwarz widerspricht der früheren Konformität. Es ist eine neue Protestbewegung von individualistischer Vielfalt, jenseits von Parteien, Verbänden und Medien. Man muß ihre Träger von nun an mitdenken, wenn es um Österreich geht. Viel Energie und Kreativität wird von der Bewegung entwickelt. Denn aller Anfang ist leicht.

Freilich halten diese Signale die Koalition eher zusammen, als daß sie sie auflösen. Rück- und Austritte kommen von innen. Mißtrauensanträge haben zur Folge, daß man daran erinnert wird, wer die Regierungsbildung gewonnen hat. Der Bundespräsident hat ohne Überzeugung die Regierung ernannt, aber sie doch mit seinem Vertrauen ausgestattet. Damit hat die Regierung, die Chance zu arbeiten. Sie stürzt vielleicht über sich selbst, aber nicht über die Signale von außen und von innen.

BürgerInnen sind erwacht, AktivistInnen engagiert. Das ist eine Minderheit. Aber auf sie kommt es an. Ihre Dauer ist ihr Erfolg. Die Regierung setzt auf Zeit und Gewohnheit, auf die Konformität der Normalität. Der Kanzler spricht daher von Normalisierung. Es gibt ja die normative Kraft des Faktischen. Das Normale kann leicht zum Normativen werden. Aber sollten nicht unsere Grundnormen über die Menschenrechtsdemokratie auch von außen als das Normale angesehen werden?

Die Republik Österreich hat es verabsäumt den früheren Bundespräsidenten Kurt Waldheim mit rechtlichen Mitteln von der US-Watchlist zu befreien. Sie hätte dafür 14 Jahre Zeit gehabt. Schon damals wäre dieser Kampf ums Recht notwendig und zweckmäßig gewesen. Wenn man sich als Menschenrechtsdemokratie bekennt, muß man sich auch als solche profilieren. Wenn es auch nicht Erfolg gehabt hätte, so wäre doch dieses Streben zur Auseinandersetzung mit den uns immer wieder verfolgenden Fragen und Problemen geworden. Durch dieses ständige Gespräch, durch diese rechtliche und politische Diskussion wäre die Position Österreichs als Menschenrechtsssatat gerade in einem symbolischen Fall demonstriert worden. Dabei hätte es ein Für und Wider auch in Österreich gegeben. Das "audiator et altera pars" ("auch der andere Teile möge gehört werden") wäre bewußt geworden. Insofern hat Österreich jetzt wieder Gelegenheit sich als Rechtsstaat, als Menschenrechtsstaat als Menschenrechtsdemokratie zu bewähren.

Die Zivilgesellschaft ist von Minderheiten abgesehen in einer Wartestellung. Die Republik ist nicht mehr erstarrt, sie ist in Bewegung geraten. Aber die Wählerschaft wartet. An den Früchten der Regierung sollt ihr sie erkennen.

Der Autor ist Professor für Verfassungsrecht an der Universität für Bodenkultur in Wien.

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