Atmosphärische Politik
Der in öffentliche Ämter gewählte Mensch befindet sich in einer seltsamen Situation. Er sollte eigentlich gestalten, muss aber Stimmungsmanagement betreiben. Wohin führt das? Ein Essay.
Der in öffentliche Ämter gewählte Mensch befindet sich in einer seltsamen Situation. Er sollte eigentlich gestalten, muss aber Stimmungsmanagement betreiben. Wohin führt das? Ein Essay.
Nach der Inselepisode, dem Verfassungsschönheitserlebnis und der Publikumsbegeisterung über Regierungsuntätigkeit gab es Wahlen in Österreich, und nach diesen Wahlen hat sich im Publikum und in den Medien eine Stimmungslage verbreitet, die fast unausweichlich zur gegenwärtigen Regierung führen musste. Man hätte es den Einen und den Anderen lange nachgetragen, wenn es misslungen wäre, eine gemeinsame Plattform zu schmieden. Schließlich haben wir es in diesem Lande mit einer im Umbruch befindlichen Politiklandschaft und damit eingeschränkten Optionen zu tun: Von den drei größeren Parteien sind zwei implodiert, aus eigener Schuld; die eine wegen jahrelanger Lähmungserscheinungen und Realitätsentfremdung, die andere aufgrund ihrer problematischen „Substanz“, die zu regelmäßig aufkochenden Unschönheiten geführt und schließlich im High Noon geendet hat.
Es ist eine sonderbar liquide politische Situation: Politik gerät zum Stimmungsmanagement. Seinerzeit hat man Institutionen, Interessen und Ideen als einigermaßen stabile Hintergrundstruktur für politisches Verhalten angesehen, doch in einer durchkommunikativierten Gesellschaft dominiert Atmosphärisches, auch in anderen Ländern. Die Briten leben entschlossene Selbstverschlechterung durch Brexit. Jeder vernünftige Reformversuch füllt in Frankreich die Straßen. Die Katalonier wollen abspalten. Italien: unlösbar. Osteuropa: unbestimmbar. Balkan: prekär. Ein siebzehnjähriges Mädchen forciert, gar nicht erfolglos, globale Klimapolitik. Heucheleien in Davos. „Links“ und „Rechts“ erklärt nichts mehr. Dosko weiß das. Bewegliche Szenen und Stimmungen: Was früher durch Weltanschauung geordnet wurde, türmt sich zu einem undurchschaubaren Repertoire von Einzelthemen, die zufällig des Weges kommen. Allgegenwärtiges politisches Unterhaltungsangebot, während Politik „unsichtbar“ wird. Atmosphärisches auf der Vorderbühne, Politik (vielleicht, hoffentlich) auf der Hinterbühne.
Alles ist, mit dem Begriff von Zygmunt Bauman, ziemlich „liquide“. Schon der Weg zur neuen Ö-Regierung war eher eine Sache des Atmosphärenmanagements. Grüne und Türkise waren während des Verhandlungsprozesses genötigt zu betonen, wie unendlich schwierig die beiden Welten unter einen Hut zu bringen seien, und sie haben geschickt einige retardierende Momente eingebaut; allein schon, um Anhänger mit illusionären Vorstellungen zuerst hin und dann im Zaum zu halten. Am Ende waren alle begeistert, einen ganzen Abend lang. Doch das Alltagsprogramm des öffentlichen Kommentierhandwerks wurde mit der Regierungsbildung atmosphärisch umgestellt. Hieß es jüngst noch: Das muss gehen, so heißt es dann: Das kann doch eigentlich nicht gehen. War der Tenor vordem: Man muss halt Kompromisse schließen, so heißt es jetzt: Wie kann man das Unvereinbare vereinbaren? K & K wussten ohnehin, dass der Kooperationsappell unweigerlich in die Scheiternsprognose umkippt. Es folgten die Ritualinterviews. Journalisten, die wissen, dass Kanzler und Minister in den ersten Wochen nach Amtsantritt nichts sagen dürfen und können, fragen Kataloge ab, bringen Vorwürfe vor, mahnen Zeitpläne ein, versuchen „Ausrutscher“ hervorzurufen. Die „Regierer“ halten hin: Es wird geklärt, wir arbeiten daran, Kommission abwarten, kann man überlegen, zeitnahe, irgendwann. Ein mühsames, überflüssiges Spiel.
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