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Österreich im Sommer eines Wahlkampfes: Land der Ängste, sorgenreich. Der Souverän ist am Wort. Die Wähler sollten nicht den Phrasen erliegen sondern die Politik zur Ordnung rufen.

Nur der Umstand, dass die Opposition den Start in den Wahlkampf verschlafen hat, bedeutet noch nicht, er hätte nicht begonnen. Den Erklärungen der aneinander gescheiterten Regierungsparteien, ÖVP und SPÖ, derzeit noch zu urlauben, können wir keinen Glauben schenken: Der Wahlkampf ist voll im Gange. Allerorten werden Plakate und Parolen für die Redeschlacht in Stellung gebracht, wird am Arsenal der politischen Kampfrhetorik geschraubt und gefeilt, damit alles parat steht für das große Hauen und Stechen, das in etwa einer Woche so richtig einsetzen wird. Wie es aussieht, könnten nahezu ein Dutzend kandidierender Parteien aufeinander losgehen und, schlimmer, einen Wahlkampf der Ängste und der Feindbilder bieten, dessen Niveau ins Bodenlose fällt anstatt Zuversicht und Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Doch genau davor, vor der Zukunft, fürchten sich die Österreicher. Leider. Und leider mit einigem Grund.

Wer sich derzeit nach Ansichten erkundigt, fährt Bedenken und Befürchtungen in die Scheune der Meinungsforschung. Die größte Sorge der Österreicher ist die Entwicklung der Wirtschaft, erhob ACNielsen zur Jahresmitte. Die Lebensumstände hinsichtlich Arbeiten und Wohnen werden immer schwieriger, befanden schon vor zwei Jahren mehr als zwei Drittel der Österreicher. Und ein ebenso hoher Anteil befürchtet Nacheile durch die EU-Politik und durch "immer mehr Ausländer". Österreich 2008? Eines der reichsten Länder? Mit guten Standards im Sozialen? Mitnichten. Ganz im Gegenteil. Ein Land der Ängste, sorgenreich. Eine Politik der Gefühle paart sich mit dem landläufigen Hang zur Übertreibung und lässt so aus ernsten Problemen ein schauerliches Szenario des Ganzen entstehen.

Die Requisiten für den Kampf in der politischen Arena werden aus dem Fundus der Kriminalität und der Migration, der Brüsseler Bürokratie, der Teuerung einerseits und der Verelendung andererseits bereitgestellt. So entstehen die Feindbilder Ausländer, Kriminelle und EU, allesamt falsch, aber in der aufgeheizten Stimmung der Ängste und Sorgen offenbar glaubwürdig. Darin liegt das große Problem.

Die teils enorme Verteuerung des Lebens und die nicht gerade rosigen Aussichten auf Stillstand in den Kategorien der Konjunkturbarometer lösen Sorgen aus. Zu Recht. Und noch viel triftiger, blickt man in Prognosen. Denn die zunehmende Alterung der Gesellschaft kostet dreimal: bei den Pensionen, bei der Pflege und bei den Krankenkassen. Diesen Problemen, namentlich jenem der Überforderung der arbeitenden Bevölkerung, hat sich die Politik zu stellen. Aber nicht mit den zitierten Feindbildern an der Seite. Denn für die Preissteigerung, für die bald zunehmende Arbeitslosigkeit sind weder die Ausländer noch die Kriminellen geschweige denn die EU ursächlich oder gar verantwortlich. Ganz im Gegenteil: Ohne Zugang zu mittel- und osteuropäischen Nachbarländern stünde Österreichs Wirtschaft wesentlich schlechter da, ohne die EU würden die Preise noch mehr ansteigen und der alte Schilling, den wir dann ja hätten, tiefer fallen.

Wenn Krieg die totale moralische Entfesselung ist, dann ist eine Krise ein moralischer Lackmustest, ein Scheidemittel sozusagen. Diesen Test haben wir jetzt anzuwenden, denn in einer Krise steckt Österreich tatsächlich. Es ist eine Krise des Vertrauens in Personal und Institutionen des Politischen. Es ist eine Krise an Zuversicht in das eigene Wissen und Können. Und es ist eine Krise der Glaubwürdigkeit in den Beziehungen: "Die da unten", so belegen es Umfragen, glauben "denen dort oben" wenig bis nichts mehr. Weil, auch das steht fest, Parteien beim Wähler absolut nichts gewinnen, wenn sie nur aufeinander losgehen, mögen sie gleich versuchen, das zu beantworten, was berechtigerweise gefragt wird: Wie wird Vertrauen wieder hergestellt? Wie wird Zukunft gestaltet? Gibt es für politisches Handeln wissensbasierte Optionen, über die ethisch fundiert verhandelt und entschieden wird? Das wollen wir wissen, wollen wir hören. Und nicht etwas über Feindbilder. Vor diesem Lackmustest mit dem Scheidemittel Anstand steht Politik im Wahlkampf. Wer, wenn nicht wir, soll entscheiden, wie er ausgeht?

claus.reitan@furche.at

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