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Aufgaben der modernen Finanzpolitik

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Der Aufgabenkreis der staatlichen Finanzpolitik ist vor allem seit dem Ende des zweiten Weltkrieges beachtlich ausgeweitet worden. Zu der gewissermaßen klassischen Funktion der

Finanzpolitik. le&jfaJ£m&,teJmr latigkeir. zu decken, kam ein neuer umfass£fßf5r

Steuerpolitik müßten ausschließlich fiskalisch ausgerichtet sein und nach Neutralität in bezug auf die Wirtschaft streben, konnte nicht gehalten werden. Es wurde begonnen, die von der Wirtschaftstheorie erarbeiteten Möglichkeiten, mit Hilfe finanzpolitischer Maßnahmen Ordnungspolitik, Konjunkturpolitik und schließlich auch Wachstumspolitik zu treiben, in immer zunehmenderem Maße in die Praxis umzusetzen. Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen, einerseits, weil auch das theoretische Gedankengebäude noch keinesfalls ein geschlossenes Ganzes darstellt und viele Probleme nicht oder nicht zur Gänze geklärt sind, anderseits, weil es in der Praxis ein mühsamer und langwieriger Weg ist, an die Stelle althergebrachter finanzpolitischer Vorstellungen neue zu setzen. Obwohl dies keine einfache Aufgabe ist, wurden doch bedeutsame Fortschritte erzielt, und der Wirtschaftsaufschwung und das nahezu störungsfreie Wirtschaftswachstum in Österreich, ebenso wie in fast: allen westeuropäischen, Industrie-staaten ist :nicht zuletzt neuen finanzpolitifchjen Überlegungen Und Kortzepten “zu danken. ' •••

Um der staatlichen Finanzpolitik aber die Rolle, Instrument der Wirtschaftspolitik zu sein, zuweisen zu können, waren einige Voraussetzungen nötig. Zunächst einmal mußte von der klassisch-liberalen Vorstellung abgegangen werden, daß der Marktautomatismus von sich aus Wirtschaftswachstum gewährleiste, Depressionen unvermeidbar und bis zu einem gewissen Grad heilsam seien, zumal sie nicht von langer Dauer sein können, und Selbstheilungskräfte der Wirtschaft immer rasch wirksam werden. An ihre Stelle trat die Überzeugung, daß eine einigermaßen zureichende ökonomisch-finanzielle Stabilität und ein stetiges Wirtschaftswachstum eine interventionistische staatliche Wirtschaftspolitik erfordern. Freilich gibt es hinsichtlich der Art der Eingriffe — ob marktkonform oder nicht — und ihrer Intensität Meinungsverschiedenheiten, die nicht mehr gradueller, sondern oft schon prinzipieller Natur sind. LsfctJMv, twjxd es ,aher ßpnh, auf die, jeweilige wfschaf$iche Situajjon .ankommen, wie die Interventionen ausfallen. • Weiter war es notwendig, daß Vollbeschäftigung, Vermeidung von Wirtschaftskrisen und Sicherung eines stetigen Wirtschaftswachstums untet möglichst stabilen Währungsverhältnissen Massenpostulate wurden, deren Verwirklichung und Aufrechterhaltung heute zu den wichtigsten Staatsaufgaben gehört. Vor allem aber mußte das Volumen der öffentlichen Finanzwirtschaft absolut wie relativ so groß werden, daß finanzpolitische Maßnahmen ins Gewicht fallende gesamtwirtschaftliche Effekte erzielten. Diese Voraussetzung ist in den meisten Ländern ohne Schwierigkeiten erreicht worden und die Sorge, das Wachstum der öffentlichen Finanzwirtschaft in einigermaßen vertretbaren Grenzen zu halten, ist ein Charakteristikum der finanzpolitischen Diskussionen in nahezu allen westlichen Industriestaaten, wobei auch hier die Meinungen je nach ideologischer Position recht weit auseinandergehen.

Heute „ist das nüchterne Zahlenwerk des Haushaltsplanes ein getreues Spiegelbild des gesamten politischen Programms der Regierung ... In dem Zustandekommen des Haushaltsplans und dem Kräftespiel der ihn beeinflussenden Faktoren haben wir infolgedessen die gesamte politische, insbesondere aber finanzpolitische Willensbildung der Nation wie in einem Brennspiegel vor Augen1“.

Jede öffentliche Finanzwirtschaft ist aber nicht an einem Ziel orientiert, sondern an einer Vielzahl von Zielen. Das finanzpolitische Problem besteht nun darin, zu einem möglichst widerspruchsfreien und systemkonformen Kompromiß zu kommen. Das will vielfach in der politischen Diskussion oft nicht eingesehen werden. Man kann entweder das Ziel A verwirklichen oder das Ziel B oder beide Ziele nur teilweise. Wunder und Zauberkünste gibt es in der Wirtschaft, auch in der öffentlichen Finanzwirtschaft, nicht. Wenn man die Ziele A und B um jeden Preis erreichen will, müssen ganz sicher in einem anderen Bereich Abstriche gemacht oder Auswirkungen in Kauf genommen werden, die oft nicht beabsichtigt gewesen sind. Denn für die Mehrzahl der finanzpolitischen Maßnahmen gilt: Sie haben, ob gewollt oder ungewollt, bedeutsame Rückwirkungen auf die Einkommens-hoiie/aie Jcfcfrm&sverteilung ;ünd'l;die aEih-kommensverweridung. Obzwar diese Wirkungen off Überschätzt Werden, liegt in ihnen doch der eminent ordnungs- und wirtschaftspolitische Charakter jeder Finanzpolitik. Gerade das ordnungspolitische Element, auf das eine vernünftige Finanzpolitik nicht verzichten kann, ist häufig gruppenegoistischen Interessen konträr, so daß oft eine auf die Bewahrung von Grundinstitutionen der gegenwärtigen Wirtschafts- und Staatsordnung gerichtete Politik auf Widerspruch stößt, wenn sie versucht, geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen gerecht zu werden. Ebenso wie in den meisten europäischen Industriestaaten, die nach dem Krieg vor dem Problem des Wiederaufbaues ihrer Wirtschaft standen, war auch in Österreich die Finanzpolitik zunächst vor allem darum bemüht, die Voraussetzungen für einen raschen Aufbau des Produktionsapparates zu schaffen. Nachdem es gelungen war, die Versorgung der Bevölkerung einigermaßen zu sichern und die Verhältnisse zu normalisieren, traten wachstumspolitische Überlegungen in den Vordergrund. Es galt, möglichst große Wachstumsraten unter einigermaßen stabilen Währungsverhältnissen zu erzielen. Die Produktionskapazitäten mußten rasch ausgeweitet, die Ausstattung der Unternehmungen mit Realkapital unter gleichzeitiger Einführung rationeller und moderner Produktionsmethoden durchgeführt werden. Die Investitionsrate mußte auf einem hohen Niveau gehalten werden, ohne daß es möglich war, den Kapitalmarkt zu aktivieren. Diese Ziele wurden auch weitgehend erreicht, die österreichische Wirtschaft fand Anschluß an den internationalen Standard. Freilich, die Dynamik der modernen Industriewirtschaft kennt keinen Stillstand, darf ihn nicht kennen, der Investitionsprozeß darf nicht gestört werden, ein Absinken der Investitionen bedeutet ein Schrumpfen des Volkseinkommens, eine Minderung der möglichen Expansion und damit des Wohlstandes. Aber Finanzpolitik treiben bedeutet auch austarieren, bedeutet die Funktion des Gewichtes zu haben, das die Wirtschaft im Gleichgewicht hält. Die großen Ziele der Finanzpolitik stehen fest, die Methoden hingegen, müssen geändert werden, wenn es die wirtschaftliche Situation erfordert.

Die Finanzpolitik darf daher niemals als ein „one-way-program“ betrachtet werden und muß sich daher in den Fällen, in denen eine bestimmte Maßnahme zu unvermeidlichen Zweckkollisionen führt, darüber klar werden, welchen der verschiedenen Möglichkeiten man die Priorität gegenüber den anderen zuerkennen will. Das sind sowohl politische als auch ökonomische Entscheidungen. Es wäre zum Beispiel irreal, würde man verkennen, daß Ausgabensteigerungen und Steuerherabsetzungen immer und vor allem in Depressionszeiten leicht durchzusetzen sind, es hingegen anders aussieht, wenn man den umgekehrten Weg gehen will, nämlich in Boom-Zeiten die Ausgaben zu drosseln und Überschüsse zu erzielen. Hier werden in nahezu allen Demokratien die Widerstände schier unüberwindlich. Das beweist nun freilich nichts gegen die Richtigkeit einer solchen Politik, um sie aber erfolgreich durchzuführen, bedarf es einer Verfeinerung des finanziellen Instrumentarismus.

Die große Linie der Finanzpolitik, wie sie in Österreich in Zukunft getrieben werden soll, ist klar, sie unterscheidet sich nicht von den Ziel-Setzungen in anderen Industriestaaten. Es geht darum, die wirtschaftliche Stabilität, Vollbeschäftigung und die Währung zu sichern. Nur unter diesen Voraussetzungen wird der Staat seine anderen Aufgaben, seien sie nun kultur-, wehrpolitischer oder was immer für Art, erfüllen. Über die Methoden wird man freilich nicht immer einer Meinung sein, aber das liegt eben im Wesen der Politik.

Erfolg und Wirksamkeit einer Finanzpolitik werden gerade in unserem Wirtschaftssystem, das auf dem Prinzip der dezentralisierten Entscheidung beruht, in nicht unbeträchtlichem Maße von den wirtschaftenden Menschen beeinflußt. Der Beachtung dieses Umstands kommt vor allem deswegen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, weil gerade die Fragen des Finanz- und Steuerwesens der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung in der Regel nicht gerade geläufig sind und ihr geradezu verdächtig vorkommen. Es werden daher häufig bei wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen stereotype „vorgeprägte Formeln“ gebraucht. „Die an solchen .vorgeprägten Formeln' orientierte öffentliche Meinung ist unkritisch und leicht zu vorschnellen Werturteilen bereit, die von den jeweiligen eigenen Wünschen und Interessen subjektiv beeinflußt zu werden pflegen2.“ Die Haltung der Unternehmungsleitungen und Sparerschichten wird aber nicht nur durch ihre Ansichten über die aktuelle Wirtschaftsund Finanzpolitik, sondern auch durch die Erfahrungen der Vergangenheit beeinflußt, und man kann nicht erwarten, daß tiefgreifende lnflations- und Devalvationskatastrophen vor allem bei den älteren Jahrgängen schon vergessen sind. Daher ist es ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Finanzpolitik, daß nicht nur formell erklärt wird, mit Massenarbeitslosigkeit verbundene Depressionen hintanzuhalten und jede Inflationsgefahr zu bekämpfen, sondern auch durch Taten bewiesen wird, daß es mit diesem Versprechen ernsthaft ist. In Österreich jedenfalls wurde es bewiesen und wird auch weiter bewiesen werden, daß ein

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