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Eine Burg für die Opposition?

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Denn um eine gemäßigte Regierung zu bilden, muß man die verschiedenen Gewalten untereinander verbinden, sie ordnen, sie mäßigen, zvm Einsatz bAngev der einen sozusagen Ballast mitgeben, damit sie der anderen widerstehen kann; ein Meisterwerk der Gesetzgebungskunst ist hier vonnöt-:n. Montesquieu *

Wahlens originelles und gar nicht kleinlautes „Plädoyer für einen neuen Parlamentarismus“ verdient es nicht, sang- und klanglos beiseitegelegt zu werden, verlangt vielmehr kritische Stellungnahme.

Es ist Wahlen durchaus zuzustimmen, wenn er die schwache Position des Bundesrates im österreichischen Verfassungsgefüge hervorhebt, es ist ihm auch vollauf zuzustimmen, wenn er entgegen aller landauf, landab noch immer oder schon wieder grassierenden Parteiensxepsis die Une ■ läßlichkeit der politischen Parteien für das Funktionieren der modernen Demokratie betont und das Schweigen unserer Verfassung zum Parteienproblem bedauert. Nicht zuzustimmen ist Wahlen jedoch, wenn er einerseits die Lehre von der Gewaltenfrennung in der ihr von der Montesquieu-Interpretation des

19. Jahrhunderts gegebenen Gestalt einer ülbersoharfen Kritik unterzieht, anderseits selbst aber — wie zu erweisen sein wird — eine überspannte Gewaltentrennung entwirft, wobei er — obwohl ein dualistisches Konzept in den Vordergrund rückend — sogar wieder bei einer Dreiteilung (Regierung — Opposition — Gerichtsbarkeit) anlangt.

Die Erkenntnis, daß trotz Weiterbestand der organisatorischen Schranken die Selbständigkeit eines Organs in der politischen Wirklichkeit hinfällig werden kann, ist nicht neu. Das durch die glorreiche Revolution von 1688 institutionalisierte Gleichgewichtssystem von Exekutive und Legislative in England war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch den weiterer Schwund an königlicher Macht und die enge Verbindung der unter Führung Walpoles stehenden Regierung mit der Parlamentsmehrheit entwertet worden, so daß Boling-broke in Theorie und Praxis eine neue Technik der Machtbalance entwickelte, das politische Gleich -gewichtssystem von Regierung und Opposition. Es wurde zuerst in England, dann auch auf dem Kontinent zur Selbstverständlichkeit, das Ja und das Nein in der Politik eines freien Staates innerhalb der verfassungsrechtlichen Grcr: , \ als zulässig zu erachten und dem Nein sogar — entgegen Wahlens Behauptung — einen Platz in der staatlichen Organisation, zumindest im Gesetzgebungsorgan, dem Parlament, einzuräumen. In öste.T<*ich fanden die Oppositionsparteien in den letzten Jahrzehnten sogar Eingang in die Verwaltungsorganisation, wo sie mit beschließender Stimme in einigen Kollegialbehörden und mit beratender in zahlreichen Beiräten vertreten sind.

Was Wahlen über Bolingbroke hinausführt, ist der Wunsch, das Gleichgewicht zwischen Regierungsund Oppositionspartei organisatorisch zu stabilisieren, institutionell zu festigen —, und zwar durch Schaffung eines eigenen Staatsorgans für die Opposition. Deshalb will er das Parlament in eine Regie-rungs- und eine Oppositionskammer geteilt sehen, die neben dem Kabinett die Gesetzesinitiaitlve ausübt, der ein suspensives Veto bei einfachen Gesetzen und ein absolutes bei Verfassungsgesetzen zusteht und der die alleinige Verfügung über die erweiterten politischen und rechtlichen Kontrollmittel des Parlaments (Interpellations-, Resolu-tions-, Enqueterecht; Ministeranklage, Antragslegitimation im Normenkontrollverfahren vor dem Verfas-sungsgerdchtshof) vorbehalten ist. Mit diesem Zweikammerprojekt ist Wahlen ganz und gar dem Gewaltentrennungsgedanken verpflichtet. Es ist nun zu prüfen, ob die organisatorische Trennung von Regierung und Opposition eine Verbesserung unseres Staatsaufbaus darstellt oder nicht, denn Gewaltentrennung ist, wie Wahlen selbst betont, nicht in jeder Form taugliches Mittel dazu, warnt doch Antoniolli: ..Die Trennung könnte au weit gehen, dann wird der Staat zerreißen.“

Zuerst fällt auf, daß Wahlens Vorschläge zwei Fragen offen lassen, deren Beantwortung man von einem modernen Entwurf erwartet: Da ist vor allem die Frage nach der Rolle des Bundesstaatsprinzips in Wahlens Konzept. Mit der Beseitigung des Bundesrats würde ja eine weitere Schwächung der bundesstaatlichen Struktur Österreichs erfolgen, indem jede, wenn auch noch so kümmerliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes wegfiele. Außerdem fehlt jeder Hinweis, wie Sachverstand für das Parlament mehr als bisher mobilisiert werden könnte.

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