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Wie aus Europas Schwäche Stärke werden kann.

Europa. Träume und Traumata" ist das Motto einer hochkarätig besetzten Tagung, die zu Pfingsten im südsteirischen Seggauberg stattfindet - unter dem Leitmotiv "Geist & Gegenwart". Von europäischem Geist ist freilich gegenwärtig wenig zu spüren, Idee und Wirklichkeit klaffen schmerzlich auseinander. Bezeichnend ist, dass wir uns den "europäischen Traum" von einem US-Amerikaner erzählen lassen: Der Ökonom Jeremy Rifkin hat mit einem 2004 erschienenen Buch dieses Titels für Aufsehen gesorgt und wird auch beim Symposion in der Steiermark einmal mehr zu diesem Thema referieren. Die Europäer selbst hingegen scheinen von diesem Traum nicht recht überzeugt zu sein; sie sind mehr mit ihren Traumata beschäftigt, mit denen sie sich allerdings im Lauf der Zeit recht gut arrangiert zu haben scheinen.

Und doch fahren sie zumindest einer politisch interessierten Öffentlichkeit zu bestimmten Anlässen deutlich ins Bewusstsein. Zu diesen unaufgearbeiteten, historisch weit zurückreichenden Komplexen gehört das Verhältnis zu Russland. Der EU-Russland-Gipfel von vergangener Woche in Samara und der in diesen Tagen stattfindende Wien-Besuch von Präsident Wladimir Putin haben es zuletzt in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Hinter all den Detaildebatten - vom Fleischstreit mit Polen über das Kosovo-Problem, den US-Raketenschirm in Tschechien und Polen bis hin zur Konfrontation um ein Sowjet-Denkmal in Estland (s. auch S. 6) - steht letztlich die Frage nach der Identität Europas. Wer ist Russlands Gegenüber?

Es war gut, dass EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und die gegenwärtige Ratsvorsitzende Angela Merkel mit Putin an der Wolga Klartext geredet haben - sowohl bezüglich demokratisch-rechtsstaatlicher Standards als auch der Einheit der EU. Ein estnisches oder polnisches Problem sei auch ein europäisches, erklärte Barroso demonstrativ bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin und Merkel. Doch im wirklichen Leben sieht die Sache natürlich anders aus, ist es mit der europäischen Solidarität, mit westlichen Werten gar, nicht so weit her. Der russische Präsident weiß das - und Europas Schwäche ist auch ein Teil von Putins Stärke, die er weidlich auszuspielen bestrebt ist.

Europas Schwäche ist auch historisch-geographisch bedingt: in viele kleine Staaten aufgeteilt, nicht klar abgrenzbar - nach Osten erkennbar nicht, aber ideell auch Richtung Westen nicht eindeutig. Die Beziehungen zu Russland sind von einer Mischung aus Unsicherheit, falscher Devotesse und machtpolitischem Kalkül, zum Teil noch unterfüttert mit Sowjet-Nostalgie, geprägt. Gegenüber der Türkei hat man aus Angst vor tatsächlich heiklen, äußerst schwierigen Entscheidungen mit jahrzehntelangem Lavieren eine für beide Seiten fast aussichtslose, beschämende Position geschaffen. Der Blick über den Atlantik schließlich ist - bei aller berechtigten Kritik - vielfach von falscher Überheblichkeit getrübt; nicht erst in der Amtszeit von George W. Bush übrigens, wenngleich dieser natürlich den Boden des Antiamerikanismus unermüdlich gedüngt hat.

Der Berliner Historiker Heinrich August Winkler hat demgegenüber in seiner Abschiedsvorlesung an der Humboldt-Universität klar für eine "westliche", die USA und die EU umgreifende Wertegemeinschaft plädiert, basierend auf den Ideen der persönlichen Würde jedes einzelnen Menschen und der Gleichheit aller Menschen. Die USA und Europa "tun gut daran, sich ihre kollektiven, Identitäten' nicht dadurch zu beweisen, dass sie sich vom jeweils anderen abheben", so Winkler, der gleichwohl die "unterschiedlichen Ausprägungen" der westlichen Kultur in den USA und Europa sowie in den einzelnen europäischen Staaten nicht verschweigt.

Europa "muss sich selbst wieder als eine politische, geistige Entität verstehen, gestützt auf Geschichte, Traditionen und Werte" - so hat es Václav Havel in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kürzlich formuliert. Wenn das gelingen soll, braucht es geistesgegenwärtige Menschen, die mit ihren Möglichkeiten, in ihrem jeweiligen Umfeld daran arbeiten, den europäischen Geist in unsere Gegenwart zu übersetzen.

rudolf.mitloehner@furche.at

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