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Löhne, Preise und die Wahlen!

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Mit wachsender Sorge verfolgt die Österreichische Bevölkerung die Entwicklung der Lohn-Preis-Bewegung in den letzten Wochen. Die Tatsache, daß im April der Verbraucherpreisindex I des Instituts für Wirtschaftsforschung (für durchschnittliche Arbeitnehmerhaushalte) um sechs Prozent höher war als zur gleichen Zeit des Vorjahres, ist ein alarmierendes Anzeichen. Es ist zwar richtig, daß diese hohe Steigerungsrate zu einem großen Teil auf das Ansteigen der Preise von Saisonprodukten zurückzuführen ist und hier eine gewisse Beruhigung erwartet werden kann, aber an die Stelle dieser Saisoneinflüsse treten nun eine Reihe anderer Faktoren, die sich auf das Preisklima nicht minder stark auswirken werden. Immer weitere Gruppen der Bevölkerung — oder zumindest ihre Interessenvertretungen — sind entschlossen, ihre Forderungen nach einem größeren Anteil am Sozialprodukt durch Streik oder streikähnliche Demonstrationen zu erzwingen. Die ersten Aktionen dieser Art sind abgeschlossen; eine ihrer unabwendbaren Folgen sind einschneidende Preiserhöhungen. Die noch offenen Fragen, angefangen mit dem Krankenkassenproblem bis zu den noch unerfüllten Forderungen der Agrarier, werden entweder neue Belastungen des Staatshaushaltes oder neue Preiserhöhungen bringen. Darüber hinaus sind noch eine Reihe von Lohnforderungen offen oder werden zumindest vorbereitet.

In dieser Situation ist mehr denn je eine starke Staatsautorität notwendig. Das heißt nicht, daß wir in dieser Lage einen dirigistischen Staat brauchen, der durch eine Fülle von Interventionen unmittelbarer Art in die Lohn- und Preisbildung eingreift, sondern vielmehr einen Staat, der sich zu einer konsequenten, am Gemeinwohl und nicht an Gruppeninteressen ausgerichteten Konjunkturpolitik durchringt. Es war in letzter Zeit die Rede von bevorstehenden harten Maßnahmen. An entsprechenden Taten hat es bisher nahezu zur Gänze gefehlt. Ein bekannter deutscher Wirtschaftsfachmann — sogar ein sozialistischer — hat vor kurzem gesagt, daß die Predigt kein sonderlich taugliches Instrument der Wirtschaftspolitik sei. In der Konjunkturpolitik mögen zwar psychologische Faktoren eine gewisse Rolle spielen, das bedeutet aber noch lange nicht, daß man mit Appellen irgendwelcher Art und an wen auch immer allzu viel ausrichten wird, wenn diesen Appellen nicht entsprechende Maßnahmen folgen. Ist dies nicht der Fall, verlieren die Appelle selbst immer mehr an Bedeutung, verliert eine Regierung auf die Dauer viel von ihrer Autorität. Einem solchen Autoritätsschwund des Staates und der Regierung gehen wir in Österreich unvermeidlich entgegen, wenn in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation die Regierung nicht beweist, daß sie mehr ist als ein Instrument zur Bestimmung des Zeitpunktes der Realisierung der einzelnen Gruppeninteressen, und wenn sie nicht erkennen läßt, daß ihre erstrangige Aufgabe die Vertretung der Gesamtinteressen der Bevölkerung und des Staates ist.

Ein wesentliches Ziel, das sich aus dieser ihrer Gemeinwohlaufgabe ergibt, ist die Erhaltung der Währungsstabilität, wenn schon nicht einer absoluten (was keine westeuropäische Regierung erreichen konnte), dann wenigstens einer relativen. Die im April eingetretene sechsprozentige Preissteigerung stellt wohl die äußerste Grenze einer vorübergehend noch zulässigen Geldentwertung dar, wenn man nicht von der schleichenden Inflation in eine galoppierende kommen will.

Die gegenwärtige Situation wäre nicht so bedenklich, wenn die verhältnismäßig starken Preisauftriebskräfte nicht zeitlich mit einer Vorwahlzeit zusammenfallen würden. Man kann nämlich über die konjunkturpolitischen Maßnahmen, die zur Zeit zu ergreifen wären, verschiedener Meinung sein, aber nicht darüber, daß es keine wirksamen konjunkturpolitischen Maßnahmen gibt, die zugleich populär wären. Jede konjunkturpolitische Maßnahme tut irgendwo weh, manche Maßnahme spürt nur irgendein Teil der Bevölkerung, manche alle Gruppen. Aber in einer Vorwahlzeit suchen die Politiker offensichtlich nach konjunkturpolitischen Instrumenten, die nicht nur niemandem schaden, sondern sogar noch der einen oder der anderen Gruppe Vorteile bringen. Der Natur der Sache nach ist dieses Bestreben unsinnig; seine Folgen können nur in einer dilettantischen und widerspruchsvollen Wirtschaftspolitik bestehen, die mehr schadet als nützt.

Daß sich die Regierung entschlossen hat, das Institut für Wirtschaftforschung um Vorschläge zur Konjunkturpolitik zu ersuchen, ist zweifellos schon ein kleiner Fortschritt. Dieser Schritt bedeutet das Eingeständnis, daß die Konjunkturpolitik, wenn sie wirksam -sein soll, einmal einer wissenschaftlichen Grundlegung bedarf und nicht das Ergebnis der Beratungen reiner Praktiker sein kann, anderseits bietet sich auch dadurch die Möglichkeit, den Wirtschaftswissenschaftlern die Schuld für die notwendigen unpopulären Maßnahmen zu geben. Mit der Erstattung von Vorschlägen ist es aber nicht getan. An solchen Vorschlägen hat es auch im Vorjahr nicht gefehlt, wohl aber an ihrer konsequenten Befolgung und vor allem an der rechtzeitigen Ergreifung der empfohlenen Maßnahmen.

Darin liegt die größte Gefahr der augenblicklichen Lage: daß unpopuläre Maßnahmen bis nach der Wahl verschoben werden. Es sollte sich aber niemand darüber täuschen, daß wohl einzelne konjunkturpolitische Maßnahmen bei einzelnen Gruppen der Bevölkerung Mißstimmung hervorrufen werden, aber daß eine in letzter Hinsicht konsequente Konjunktur- und Währungspolitik, die auf eine Erhaltung der Kaufkraft des Schillings abzielt und für die es jetzt noch Zeit ist, von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung begrüßt werden wird, daß schließlich auch Verständnis für die Ergreifung unangenehmer Maßnahmen bestehen wird. Vor allem aber bestünde zweifellos Verständnis für das Verschieben der Erfüllung von an sich durchaus berechtigten Anliegen, die aber im Augenblick einer solchen konsequenten Konjunkturpolitik widersprechen.

Der bekannte Nationalökonom Wilhelm Röpke hat einmal gesagt, daß die Inflation letztlich die Art darstelle, in der eine Volkswirtschaft auf eine fortgesetzte Überlastung ihrer Kräfte reagiert, auf Maßlosigkeit und Ungeduld der Ansprüche, auf eine Neigung zum Exzeß auf allen Gebieten und in allen Schichten. Dieses Wort trifft für unsere Verhältnisse in besonderer Weise zu. Diese Maßlosigkeit zeigt sich nicht nur bei der Forderung nach Einkommenserhöhung, wenn einzelne Gruppen glauben, auf einmal ihre vielleicht tatsächliche Schlechterstellung einholen zu können; sie zeigt sich auch in der Festlegung immer neuer öffentlicher Ausgaben. Es wäre eine eindeutige Aufgabe der Regierung, dort einzugreifen, wo sich die Interessenvertretung einer Gruppe für solche maßlose Forderungen einsetzt. Eine solche Ungeduld der Ansprüche, von der Röpke spricht, mag psychologisch verständlich sein, überhaupt dort, wo die soziale Lage einer Bevölkerungsgruppe wirklich im Durchschnitt ungünstig ist. Trotzdem ist eine Haltung von Funktionären der Interessenvertretungen zu verurteilen, die ausgerechnet dann sich besonders radikal gebärden, wenn schwerwiegende Gesamtinteressen des Staates auf dem Spiel stehen. Natürlich mag — rein parteipolitisch gesehen — der gegenwärtige Zeitpunkt der Vorwahl« zeit günstig sein; ein solches Auftreten, eine „Neigung zum Exzeß“ (Röpke) zeugt aber gerade in einer solchen Zeit von einem geringen Sinn für eine Verantwortung dem Gemeinwohl gegenüber, dem sich auch der Funktionär der Interessenvertretung verpflichtet wissen müßte.

Wenn einzelne konjunkturpolitische Maßnahmen diskutiert werden, ist es bei uns üblich, in völlig einseitiger und isolierter Betrachtungsweise immer nur die Nachteile zu sehen, die einer Gruppe der Bevölkerung dadurch erwachsen. Nicht gesehen werden aber die Nachteile, die sich entweder aus dem Mangel einer wirksamen Konjunkturpolitik ergeben oder aber aus anderen Interventionen, die notwendig werden, wenn auf eine wirksame Konjunkturpolitik in einem Bereich verzichtet wird. So mag es verständlich sein, daß sich einzelne Wirtschaftszweige gegen Zollsenkungen zur Wehr setzen, wenn sie davon unmittelbar nachteilig betroffen sind. Man sieht etwa nicht, daß — je weniger von zollpolitischen Möglichkeiten der Konjunkturpolitik Gebrauch gemacht wird, desto mehr über kurz oder lang andere, oft viel schmerzlichere — Maßnahmen, etwa Kreditbeschränkungen, kommen müssen. Verzichtet man aber in einer solchen Situation auch auf eine wirksame Kreditpolitik, wird die Kreditversorgung der Wirtschaft auf andere Weise beeinträchtigt, so durch den Rückgang der Spareinlagen. Ein solcher Rückgang ist unvermeidlich, wenn die Preiserhöhung ein bestimmtes kritisches Ausmaß - dem wir heute sehr nahegekommen sind — überschreitet.

Die Erweiterung der Paritätischen Preis-Lohn-Kommission, in den Wirtschaftsprozeß einzugreifen, haben bei den Wirtschaftsexperten und Wirtschaftswissenschaftern eine geteilte Aufnahme gefunden. Wie immer man zu den erweiterten Interventionsrechten dieser Kommission stehen wird, kann es darüber kaum eine Diskussion geben, daß die Wirkkraft der preispolitischen Eingriffe zeitlich begrenzt ist, sofern keine tiefergreifenden Maßnahmen einsetzen, die die Ursachen eines Preisauftriebes und nicht nur ihre Symptome angehen. Sicher hat die Preis-Lohnkommission die Möglichkeit, zu bremsen. Dies mag gerade dann sehr wichtig sein, wenn es darum geht, einer Maßlosigkeit der Ansprüche entgegenzuwirken. Die Macht der Kommission ist aber dort eine sehr begrenzte, wo Preiserhöhungen durch unabwendbare Kostensteigerungen notwendig geworden sind. Die Kommission kann eben ebensowenig wie eine staatliche Wirtschaftsbehörde das Verhältnis von Angebot und Nachfrage beeinflussen, sie kann wohl der Machtausübung von einzelnen oder Gruppen auf die Dauer aber nicht dem Markt entgegenwirken. Es sei denn, wir heben die Marktwirtschaft auf.

Vor kurzem kommentierte eine angesehene österreichische Tageszeitung die Lohn-Preissituation mit der Überschrift: „Regierung steht Krisenzeichen hilflos gegenüber.“ Es ist verständlich, daß dieser Eindruck entsteht, wenn gerade das getan wird, was konjunkturpolitisch gesehen falsch ist. Die augenblickliche Situation ist insofern eine besondere (wie schon gesagt wurde), als die prekäre Lohn-Preis-Entwicklung mit der Vorwahlzeit zusammentrifft. Jetzt aber zu glauben, alle jahrelang aufgestauten Forderungen erfüllen zu können und das Budget 1963, das vermutlich erst nach der Wähl zustande kommen wird, im vornherein stark zu belasten, um möglichst allen Gruppen der Bevölkerung vorher noch zumin-destens kleinere Zugeständnisse machen zu können, ist verantwortungslos.

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