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Symbiose: Mandatare und Journalisten

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Der Wähler darf gespannt sein: das neue, persönlichkeits-orientierte Wahlrecht bringt Unruhe ins Politikerleben.

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Der Wähler darf gespannt sein: das neue, persönlichkeits-orientierte Wahlrecht bringt Unruhe ins Politikerleben.

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Man kann sich als Kandidat nicht mehr hinter dem Plakat verstecken." - Auch listenplatz-verwöhnte Abgeordnete sehen intensive Wahlkampfplanung auf sich zukommen. Zunächst gilt es parteiinterne Vorwahlen zu überstehen, um dann im eigenen Wahlkreis um Vorzugsstimmen zu buhlen. Da selbst der aktivste Kandidat nur einen kleinen Teil seiner Wählerschaft direkt ansprechen kann, rücken die Medien in den Mittelpunkt. Die bessere Medienar-leit, die geschicktere Selbstdarstellung und nicht zuletzt der professionelle Umgang mit Journalisten können wahlentscheidend sein.

öb sie es nun wollen oder nicht, Abgeordnete und Journalisten leben in einer Symbiose. Beide sind aufeinander angewiesen: Information wird gegen Publizität getauscht. Die Kontakte zwischen Politikern und Journalisten finden jedoch weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Die Wähler wissen nichts vom komplizierten Innenleben der Symbiosen.

„Man knüpft halt einmal Kontakt, das weitere läuft von selbst", erklärt ein Abgeordneter die Philosophie informeller Joumalistenkontakten, die bei medienfleißigen Abgeordneten im Durchschnitt wöchentlich stattfinden.

Das Motiv für solche Hintergrundgespräche liegt auf der Hand: Abgeordnete bieten ihre politischen Botschaften als lixklusivgeschichten an und erhalten dafür einen ausführlichen Artikel. Der Journalist schöpft seine Informationen direkt an der Quelle und sticht durch den Erstabdruck der politischen News die Konkurrenz aus. Ein vertrauliches Tauschgeschäft ist stillschweigend vereinbart, der Grundstein für eine dauerhafte Symbiose gelegt. Nicht umsonst sind Einzelgespräche mit Journalisten nach Presseaussendungen das zweithäufigste Mittel der Medienarbeit von Abgeordneten.

Gegenseitiges Vertrauen ist das Fundament im Beziehungsgeflecht zwischen PoHtikern und Journalisten. Man lernt sich gegenseitig einzuschätzen und wird diesbezüglich die Informationsintensi-tiät und das Ausmaß der Vertraulichkeit dosieren. Daß aus dieser Berufsbeziehung Freundschaften erwachsen, ist ebenso natürlich wie umstritten. Wer Beruf und privat nicht zu trennen weiß, muß sich den berechtigen Vorwurf der „Verhaberung" gefallen lassen, die den Wähler ztun ahnungslosen Zuschauer inszenierter Politik macht.

„VERHABERUNG"

Dementsprechend ungern reden Politiker über ihre Journalistenfreundschaften. Immerhin mehr als die Hälfte der befragten Abgeordneten zählen bis zu zehn Medienvertreter zu ihrem engeren Freundeskreis. Andere lehnen es hingegen ab, Freundschaften mit Journalisten zu pflegen: „Ich betrachte diese Leute nicht als Freunde" oder „das sind keine ehrlichen menschlichen Beziehungen, sondern Zweckbündnisse.'

Egal ob befreundet oder nicht - herausgefiltert aus den Abgeordnetenmeinungen tragen im wesentlichen vier Umgangsregeln dazu bei, eine Symbiose zu festigen:

■ Pflege eine professionelle Beziehung

■ Laß dich auf keinen Rollentausch ein

■ Sei ehrlich, seriös und aufrichtig und

■ biedere dich nicht an.

Der imaginäre Verhaltenskodex resu tiert nicht zuletzt aus negativen Erfahrungen, die Politiker immer wieder pauschal auf die Journalisten-jranche schimpfen läßt: Der Symbiosepartner halte sich nicht an Abmachungen, schreibe tendenziös, gebe Interviews falsch oder unvollständig wieder oder sei ganz einfach ignorant.

Prominente Politiker, auf die.Journalisten nicht verzichten können, reagieren auf Enttäuschungen mit zeitweiligem „Liebesentzug" oder gar Informationsverweigerung: „Dann rasselt der Rollbalken hinunter, dann gibt es keinen Kontakt mehr."

Das Beispiel zeigt, wie konfliktreich die Symbiose zwischen Abgeordneten und Journalisten sein kann.

„Diese Symbiose entscheidet einfach über deine Karriere", erläutert ein Abgeordneter den Machtfaktor Journalist. Doch nicht alle Mandatare haben es notwendig, eine Symbiose einzugehen, nicht alle wollen es, nicht alle können es. Im wesentlichen sitzen im Parlament zwei Abgeordnetentypen:

Die Medienmaximalisten, extrovertierte, medienfleißige Selbst- und Politikdafsteller, sind in der Minderheit und auf den kleinen Kreis der Spitzenpolitiker begrenzt. Das Gros der Abgeordneten bilden

- trotz des neuen, persönhch-keitsorientierten Wahlrechts

- die Medienminimalisten, die Medien- und Journalisten-arbeit zwar grundsätzlich für wichtig halten, ihr eigenes Verhalten aber nicht oder kaum danach ausrichten.

Die Autorin Hihrta

fiir ihre üiplomarbeit im Dezember 199) zwölf Interviews mit repräsentativ ausgewählten Nationalratsabgeordneten.

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