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Griffige Slogans ersetzen Politik

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Fernsehen in den USA ist nicht nur ein emotionales Medium, in dem eindrucksvolle Bilder ihre Wirkung nicht verfehlen, sondern auch ein sehr flüchtiges: Bedingt durch den Druck vieler konkurrierender Programmanbieter ist es oberstes Ziel der TV-Macher, den Zuschauer nie zu langweilen. Auch sogenannte „ausführliche politische Berichte" sind deshalb vergleichsweise kurz gehalten.

Die Politiker haben sich darauf eingestellt, indem sie peinlich genau darauf achten, bei ihren Reden nicht in langwierigen Details zu verharren. Sie präsentieren stattdessen eine Aneinanderreihung von griffigen Slogans, die „fernsehgerecht" auch im kleinsten Meldungsblock Platz finden.

Die Journalisten der Nachrichtensendungen befinden sich in einem Dilemma: Sie müssen einerseits ihrer Pflicht zur Berichterstattung Folge leisten, und das möglichst schnell. Anderseits haben sie fast immer nur Material von umjubelten Präsidentschaftskandidaten zur Verfügung.

CBS, eine der großen amerikanischen Fernsehstationen, hat in diesem Wahljahr erste Konsequenzen gezogen: sie sendet so wenig Bildberichte wie nie zuvor.

Den besonderen Ärger der Journalisten hat sich Ronald Reagan zugezogen. Er hat sich während seiner vierjährigen Amtszeit als „Meister des Mediums" erwiesen, wie er von seinen Gegnern verärgert wie spöttisch tituliert wird. Unliebsame Fragen von Reportern läßt er so gut wie gar nicht zu.

Paradoxerweise bietet der Präsident aber den Kameraleuten mehr Gelegenheit, ihn zu filmen, als es bei all seinen Vorgängern der Fall war. Nur handelt es sich dabei allzu oft um medienwirksam inszenierte Ereignisse wie etwa um ein Telefongespräch mit den heldenhaften Astronauten des Space Shuttle-Raumschiffs.

Doch die Macht des Fernsehens wird nicht nur durch die Republikaner und ihre cleveren Werbefachleute genutzt. Auch die Demokraten haben längst erkannt, daß der TV-Schirm die einzige Chance zum Erfolg, aber auch die größte Gefahr gleichzeitig bietet. Beide Großparteien nutzen deshalb das Medium mit äußerster Vorsicht.

So laden zum Beispiel die politischen TV-Magazine, die zur Frühstückszeit und in den Abendstunden in ansehnlicher Zahl präsentiert werden, die Präsidentschaftskandidaten immer wieder zu Interviews ins Studio ein. Von beiden politischen Gruppen erhalten sie in der Regel Absagen.

Anstatt sich kostenlos interviewen zu lassen, kaufen die Parteien lieber die teure Sendezeit für einen Werbespot ein. Diese in perfekter Dramaturgie konzipierten Filme werden dann gezeigt, wenn die Kandidaten sich eigentlich brisanten Fragen hätten stellen sollen.

Die Folge dieses eigenwilligen Medienverständnisses ist, daß die vieldiskutierten 90-Minuten-De-batten zwischen den Spitzenkandidaten zu den wenigen Sendungen verkümmert sind, in denen die Politiker noch improvisieren müssen.

Aber auch diese Duelle haben einiges von ihrem ursprünglichen Charakter verloren. Nie zuvor gab es ein derartiges monatelanges Feilschen der Partei-Unterhändler, bis man sich über Anzahl und exakten Austragungsmodus einig war. Und bei keinem früheren Wahlkampf versuchten die Politiker, Einfluß auf die Auswahl der Fragesteller zu nehmen. In diesem Jahr jedoch mußten die Veranstalter der Sendungen den Parteien erstmals eine Liste vorlegen: von 112 vorgeschlagenen Journalisten konnten sich die Rivalen auf ganze acht einigen.

Die TV-Debatten selbst, das letzte nicht kalkulierbare Risiko, führen zu wochenlanger Hektik und Vorbereitung in den Parteizentralen. Die Beraterstäbe der beiden Kontrahenten reichen vom Universitätsprofessor bis zum Kosmetikspezialisten. Die wichtigste Rolle fällt den sogenannten „Strategen" zu, die ihren Schützling mittels improvisierter Scheindebatten und Videoaufzeichnungen in Taktik und Gestik schulen.

Die US-Journalisten, gleich welche, diskutieren unterdessen, wie sie in künftigen Wahlkämpfen wieder mehr ihrem Selbstverständnis gerecht werden können. Wissenschaftler machen sich grundsätzliche Sorgen und sehen eine rapide wachsende Diskrepanz zwischen dem, was einen erfolgreichen (TV-)Wahlkämpfer auszeichnet und den Fähigkeiten„ die man zum Regieren einer Supermacht braucht. Ein zu komplexes Wissen und politische Erfahrung könnten im Fernsehen zum Nachteil eines Kandidaten werden, meinen sie.

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