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Ärzte im Sold der Ideologen

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Die Psychiatrie ist längst auch in Österreich zum Exerzierplatz diverser Ideologen geworden. Zusätzlich zur Belastung aus der nationalsozialistischen Zeit (siehe auch nebenstehenden Kasten) trachten gezielte Kampagnen Pauschalurteile entstehen zu lassen: Wer zu jenen gehört, die Psychiatrie mit Freiheitsberaubung und Verstößen gegen die Menschenrechte in einem Atemzug nennt, darf sich besonders .fortschrittlich“ wähnen.

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Die Psychiatrie ist längst auch in Österreich zum Exerzierplatz diverser Ideologen geworden. Zusätzlich zur Belastung aus der nationalsozialistischen Zeit (siehe auch nebenstehenden Kasten) trachten gezielte Kampagnen Pauschalurteile entstehen zu lassen: Wer zu jenen gehört, die Psychiatrie mit Freiheitsberaubung und Verstößen gegen die Menschenrechte in einem Atemzug nennt, darf sich besonders .fortschrittlich“ wähnen.

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Die Diskussion um das geplante neue „Unterbringungsgesetz“ (voller Wortlaut: „Bundesgesetz über die Unterbringung psychisch Kranker in geschlossenen Bereichen von Krankenanstalten“) macht die bestehenden Spannungen deutlich.

Erklärte Zielsetzung des Entwurfs ist es, möglichst wenige Patienten zwangsweise in geschlossene Anstalten einzuweisen: „Es sind einfach zuviel Leute in den geschlossenen Anstalten“, meint Herbert Ent, zuständiger Beamter des Justizministeriums. „In Zukunft muß es mehr ambulante Einrichtungen geben, wenn aber ein stationäre Behandlung notwendig ist, dann soll das in erster Linie im offenen Bereich erfolgen, und wenn schon im geschlossenen, dann möglichst auf freiwilliger Basis.“

Voraussetzung für eine Unterbringung im geschlossenen Bereich einer Krankenanstalt ist in Zukunft (§ 1) neben dem Vorhandensein „einer psychischen Krankheit“ oder „einer dieser gleichwertigen psychischen Störung“ die ernstliche Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Sachwerten größeren Ausmaßes durch den Patienten. Darüber hinaus soll die Unterbringung dennoch unzulässig sein, „wenn die mit ihr verbundenen Beschränkungen im Verhältnis zur Gefahr unangemessen sind oder diese auf andere Weise ... abgewendet werden kann.“

Bereits an diesem ersten Paragraphen des Entwurfs entzündet sich die Kritik der Ärzte: Man fühlt sich überfordert und zeitlich unter Druck gesetzt, wenn die Zukunft unmittelbar nach der Aufnahme von einem Arzt entschieden werden muß, ob die Unterbringung zu recht besteht und ob sie im Verhältnis zur Gefahr auch angemessen ist.

Auf Widerspruch stoßen auch die Bestimmungen über die „Aufnahme auf eigenes Verlangen“: Wenn jemand auf eigenes Verlangen aufgenommen werden soll, ist es erforderlich, „daß der Aufnahmewerber den Grund und die Bedeutung seiner Unterbringung einzusehen und seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen vermag“. Womit sich die Frage stellt: Welcher Geiteskranke kann das?

Herbert Ent ist zuversichtlich: In vielen Fällen seien die Aufnahmewerber ja nicht dauernd geisteskrank. In vielen Fällen psychischer Störungen seien immer wiederkehrende Anfälle auch rechtzeitig abzusehen. Solche Patienten seien durchaus in der Lage, die vorsorgliche Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt nach freiem Willen zu beantragen.

Die Ärzte sind anderer Meinung. Der Grazer Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Hans Zelisko etwa hält die Bestimmungen über die freiwillige Unterbringung für nicht praktikabel: Wenn jemand psychisch krank ist, könne er kaum seinen Willen frei äußern.

Was die Zwangseinweisung betrifft, ist geplant, nicht wie bisher den Polizei- oder Amtsarzt damit zu betrauen, diese Funktion sollen in Hinkunft vielmehr die Nervenfachärzte übernehmen. Die Fachärzte werden damit aber bestimmt keine Freude haben, wenn sie zu Erfüllungsgehilfen bei Zwangseinweisungen gemacht werden, da sie dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten gefährdet sehen.

Weitere Streitpunkte zwischen Befürwortern des Entwurfs und betroffenen Ärzten:

• Die Neuordnung des gerichtlichen Verfahrens bei Zwangseinweisungen. Die einen sehen darin verbesserten Schutz der Patienten vor ungerechtfertigten Zwangseinweisungen, die anderen eine unnötige Verbürokratisierung, die die behandlungsmäßige Bewegungsfreiheit einengen könnte.

• Nur mit Zustimmung des Patienten soll in Hinkunft eine „die Persönlichkeit nachhaltig verändernde Behandlung“ durchgeführt werden dürfen. Dagegen wäre natürlich nichts einzuwenden, wenn nicht unklar wäre, was darunter zu verstehen ist. Sogar häufig verwendete Medikamente wie etwa Truxal wurden bereits als „persönlichkeitsverän-dernd“ bezeichnet.

Herbert Ent sieht die Vorteile des Entwurfs so: Dadurch, daß die Richter bereits nach vier Tagen und nicht erst nach drei Wochen über die Zu-lässigkeit der Unterbringung entscheiden müssen, wird das Verfahren effektiver; durch die zwingende Einsetzung eines Vertreters für jeden Untergebrachten sowie den Grundsatz der mündlichen Verhandlung auch in 2. Instanz wird der Schutz des Patienten verbessert.

Für den Psychiater Hans Zelisko aber ist auf diesem Gebiet die „linke Infiltrierung“ bereits eine Tatsache. Er ist überzeugt, daß Formulierun-gendervon vielen seiner Kollegen als sektiererisch angesehenen „Gesellschaft zum Schutze vor Verstößen der Psychiatrie gegen die Menschenrechte“ in den Entwurf Eingang gefunden haben. Volle Aufmerksamkeit fordert er aber für den Umstand, daß der Entwurf nur als „Teilschritt“ zur Verbesserung der Lage von Geisteskranken bezeichnet wird: Es gehe letztlich um Ausbau und Umformung des gesamten psychiatrischen Versorgungsnetzes.

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