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Am Gängelband der Klubobmänner

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Mehr Freiheit für die frei gewählten Mandatare: im Wahlkampf war davon viel die Rede - im Koalitionsübereinkommen von SPÖ und ÖVP nicht mehr. Warum eigentlich?

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Mehr Freiheit für die frei gewählten Mandatare: im Wahlkampf war davon viel die Rede - im Koalitionsübereinkommen von SPÖ und ÖVP nicht mehr. Warum eigentlich?

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Die sogenannte Große Koalition unter absoluter Bindung der beiden Regierungsparteien ist eine österreichische Spezialität, für die es in der freien westlichen Welt wenig Verständnis und kaum vergleichbare Beispiele gibt.

Eine Notwendigkeit in den Nachkriegsjahren zur Zeit der Besatzung, konnte sie nach Wie-

derherstellung der vollen Freiheit Österreichs nur mühsam weiterleben; jede Legislaturperiode endete vorzeitig mit vorverlegten Neuwahlen.

Die letzten Jahre der alten Großen Koalition waren dadurch gekennzeichnet, daß jede Regierungspartei den eigenen Erfolg durch Verhinderung des Erfolges der anderen Partei sichern wollte.

Fast alle großen Politiker der damaligen Zeit haben später das System der Großen Koalition verurteilt. Ein Julius Raab bezeichnete die Große Koalition schon 1958 als „unerträgliche Fessel“; sein Nachfolger Alfons Gorbach sagte 1963, die Große Koalition „regiere durch Nichtregieren“. Bundeskanzler Josef Klaus wiederum meinte rückblickend, die Große Koalition habe „bei doppeltem Aufwand nur die Hälfte geleistet“. Bundeskanzler Bruno Kreisky stellte 1970 nüchtern fest, daß die Große Koalition „in den letzten sieben Jahren ihres Bestandes fast nichts mehr zustandegebracht“ habe.

Es ist daher zu bezweifeln, daß jene 85 Prozent der österreichischen Wähler, die im vergangenen November einer der beiden großen Parteien ihre Stimme gegeben haben, eine Große Koalition, schon gar eine alter Prägung, wollten.

Umso größer ist die Überraschung, wie sich die jetzigen Parteiführer über die Kritik ihrer Vorgänger hinwegsetzen und mit dem jüngsten Koalitionspakt wieder eine Koalition alten Stils bauen. Den beiden Klubobmännern der Regierungsparteien

wurde bei Meinungsverschiedenheiten ein absolutes Vetorecht eingeräumt, in wichtigen Fragen darf, keine Regierungspartei die andere überstimmen; was wichtig ist, entscheidet der Klubobmann.

Selbst der Koalitionsausschuß ist, wenn auch in anderer Form, wieder auferstanden. Der Freiraum des einzelnen, nur seinem Gewissen verpflichteten Abgeordneten wird in den Regierungsfraktionen wieder suspendiert.

Daß die Volksabstimmung im neuen Pakt nicht einmal erwähnt wird, ist sicher kein Zufall. Des-

gleichen, daß die Kontrollrechte der Opposition nicht gestärkt werden.

Als Staatsbürger, der die Schwierigkeiten der Großen Koalition seinerzeit miterlebt hat, kann man nur hoffen, daß sich die Parteiführer von Raab bis Kreisky in ihrer Beurteilung der Großen Koalition geirrt haben und daß dieses System, obwohl keine neuen Ideen eingebracht worden sind, im Interesse der österreichischen Demokratie funktionieren wird.

Der Autor war von 1953 bis 1977 FPO-Abge-ordneter zum Nationalrat.

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