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Aufregung hat tiefere Ursachen

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Ein „präsenf'-Interview Leopold Kendöls, des Präsidenten des Katholischen Familienverbandes, das auch den ORF und andere Medien auf den Plan rief, hat Staub aufgewirbelt. Von unzähmbarem politischem Ehrgeiz und Opportunismus, von charakterloser Kur-venkratzerei und Lechzen nach einem Regierungsamt ist die Rede. Im Familienverband und in verwandten Organisationen ist Kendöl unter harten Beschuß geraten.

Was aber hat er denn gesagt? Daß der Katholische Familienverband nicht nur auf die ÖVP setzen könne, sondern das Verhältnis zur SPÖ „überprüfen“ müsse, da doch immer mehr Österreicher und wohl auch

Verbandsmitglieder diese Partei wählten.

Vor zehn Jahren hätte ein solches Interview vermutlich weniger Aufsehen als heute erregt. Von Person und Zeitpunkt abstrahiert, sind das Aussagen, die eigentlich längst selbstverständlich sein müßten.

Aber man kann vom Zeitpunkt eben nicht abstrahieren. Das Verhältnis zwischen katholischen Organisationen und Regierungspartei ist heute steriler, einfallsärmer, mehr verhärtet als vor einem Jahrzehnt.

Dafür gibt es mehrere Ursachen. Das mit jedem Wahlerfolg anscheinend zunehmende Desinteresse der SPÖ an sachlichen Gesprächen, das mit der Fristenlösung nur einen spektakulären Höhe-, aber keinesfalls Schlußpunkt fand, ist so eine.

Dazu kommt, daß viele Funktionäre der Katholischen Aktion auch Funktionäre der Volkspartei sind, wogegen überhaupt nichts einzuwenden ist. Nur kann der einzelne im konkreten Fall nicht immer genau entscheiden, ob er als KA- oder als ÖVP-Funktionär verärgert, verunsichert, frustriert ist. Solches schlägt sich in Gereiztheit und Aggressivität nach allen Seiten nieder.

Man könnte nun anklagend festhalten, daß die SPÖ zuerst mehr Katholiken zu Führungspositionen in der Partei kommen lassen müßte, um das Verhältnis zu kirchlichen Organisationen zu entkrampfen. Man könnte aber ebenso darüber klagen, daß auch katholische Sozialisten als Pfarrgemeindevertreter in weiten Teilen Österreichs kaum echte Chancen haben. Es liegt also an beiden Seiten, wenn das Verständnis füreinander eher ab- als zugenommen hat.

Andererseits haben die fortgesetzten Niederlagen der ÖVP auch das Verhältnis dieser Partei zur Kirche, das im Sachbereich weitgehend problemfrei ist, im Stimmungsbereich weiter angespannt: Noch immer wird einerseits behauptet, die Kirche habe an Mißerfolgen der ÖVP schuld, und immer mehr Katholiken wählen auf der anderen Seite, wie sich nun einmal nicht leugnen läßt, die SPÖ.

Die Komplexität des Bildes (zu der auch seine eigene politische Kehrtwendung gehört) hat Leopold Kendöl offenbar nicht genügend berücksichtigt, als er zu seiner überraschenden Aussage antrat. Die Schläge, die er dafür einheimst, treffen ihn daher nicht ohne eigene Schuld. Aber abgesehen davon, sollte man über das Gesamtproblem doch ernsthaft nachdenken, ehe man wieder einmal persönliche Verteufelung an die Stelle redlichen Argumentierens treten läßt.

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