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Das ist die letzte Chance

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Nach mehr als zwanzig Jahren gibt es seit dem 16. Jänner 1987 wieder eine Zusammenarbeit der tragenden politischen Kräfte unseres Landes. Das Ziel, das sich die Regierungspartner gesteckt haben, ist die Aufarbeitung des schweren Erbes der vergangenen 17 Jahre einerseits und die Ingangsetzung des für die Sicherung der Zukunft Österreichs so ungemein notwendigen und unaufschiebbaren Erneuerungsprozesses andererseits, ein Ziel, für das es sich lohnt, gemeinsam die besten Kräfte einzusetzen.

In diesem Zusammenhang möchte ich ein sehr offenes Wort an die Regierungspartner richten. Es muß für beide Teile eine ausge-

sprochene Selbstverständlichkeit sein, daß sie sich nicht nur zum Buchstaben des am 16. Jänner 1987 geschlossenen Arbeitsübereinkommens ohne jeden Vorbehalt und ohne jede Einschränkung und damit zum gegebenen Wort und zum Grundsatz von Treu und Glauben bekennen. Damit kann es nicht abgetan sein. Darüber hinaus scheint mir ein zweiter Aspekt von zumindest gleich großer Bedeutung zu sein.

Die zwanzig Jahre, die seit dem Ende der alten großen Koalition im Jahre 1966 vergangen sind, brachten naturgemäß ein Auseinanderleben mit sich, das geradezu zwangsläufig mit den Rollen der Regierungspartei einerseits und der Opposition andererseits verbunden ist. Es gilt daher vor allem einmal, ein Klima des Vertrauens, der Kooperations- und Kompromißbereitschaft auf- und auszubauen. Es wäre vermessen, anzunehmen, daß dies von heute auf morgen möglich ist. Umso notwendiger ist es daher, daß beide Seiten sich darüber im klaren sind, daß ein Höchstmaß an Loyalität, Toleranz und Fairneß vom Partner nur dann erwartet werden kann, wenn man es selbst zu geben bereit ist.

Die Sozialistische Partei muß zur Kenntnis nehmen, daß sie eben nicht mehr allein zu regieren in der Lage ist, genauso wie die Volkspartei sich keinem Zweifel darüber hingeben darf, daß die Rolle einer Oppositionspartei sich diametral von der einer Regierungspartei unterscheidet. Je eher sich beide Regierungspartner in diese für sie neuen Rollenbilder hineinfinden und sich des Umstandes bewußt werden, daß sie ab nun die Verantwortung für alle Erfolge - gleichermaßen aber auch für alle Mißerfolge — zur ungeteilten Hand tragen, desto fruchtbarer wird sich die Zusammenarbeit gestalten.

Ein weiteres offenes Wort muß an die österreichische Bevölkerung gerichtet werden. Es gibt wohl niemanden in ganz Öster-

reich, der sich womöglich darüber Illusionen machte, daß das Sanierungswerk ohne so manche Lasten und Opfer gelingen könnte. Wir haben eben alle miteinander in den hinter uns liegenden 17 Jahren über unsere Verhältnisse und auf Kosten der Zukunft gelebt.

Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile in der österreichischen Bevölkerung Bahn gebrochen. Es gibt kaum noch jemanden in unserem Lande, der die bittere Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen wollte, daß der gigantische Schuldenberg auf ein vertretbares Maß reduziert, daß gespart werden muß. Schwierig wird die Frage dann, wenn es darum geht, wo und bei wem ganz konkret der Sparstift angesetzt werden müsse.

Es ist offensichtlich in das Bewußtsein der Bevölkerung noch nicht eingedrungen, daß das für die Sicherung der Zukunft unseres Landes unumgänglich notwendige Sanierungswerk nur gelingen kann, wenn alle Österreicherinnen und Österreicher Solidarität bekunden und letzten Endes in ihrem ureigensten Interesse zu vertretbaren Verzichten und auch Lasten bereit sind, wobei selbstverständlich auf soziale Gegebenheiten besonders Bedacht zu nehmen sein wird.

Wenn ein Haus, in dem mehrere Mieter wohnen, schwer beschädigt und daher dringend reparaturbedürftig ist, kann sich einer der Mieter auch nicht darauf berufen, daß ihn die Sache nicht interessiere, sondern daß vielmehr die anderen Mieter trachten sollten, mit der Sanierung fertig zu werden. Hier bedarf es des Zusammenstehens aller. Daran müssen alle mit Nachdruck erinnert werden und dessen müßten sich insbesondere jene bewußt sein, die heute schon erklären, daß sie und ihre Berufsgruppe zu keinen wie immer gearteten Abstrichen bereit seien.

Eine große und ohne jeden Zweifel sehr schwere Aufgabe steht der neuen Regierung bevor. Sie kann nur gelöst werden, wenn das ganze österreichische Volk Verständnis für die im Interesse der Sicherung der Zukunft unseres Vaterlandes notwendigen Maßnahmen aufbringt.

Und damit komme ich noch einmal auf die mit dem Arbeitsübereinkommen vom 16. Jänner 1987 besiegelte Partnerschaft von ÖVP und SPÖ zurück: Diese Partnerschaft bedeutet nicht nur für Osterreich, sondern gerade auch für die Vertragspartner selbst eine ganz große, ja vielleicht sogar eine letztmalige Chance. ÖVP und SPÖ müssen begreifen, daß die Zusammenarbeit nicht nur nicht scheitern darf, sondern sie unter Erfolgszwang stehen.

Der Autor ist Vizekanzler a. D.

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