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Das kleinkarierte Ritual der Politik entpolitisiert

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Ritual nennt Meyers großes Taschenlexikon das Vorgehen nach festgelegter Ordnung. Was da (ab-)läuft, folgt mit mehr oder weniger bestimmter Zielsetzung fixierten Regeln und ist deshalb als fast identisch wiederholbar.

In der Soziologie bezeichnet Ritual eine besonders ausdrucksvolle und standardisierte individuelle oder kollektive Verhaltensweise. Rituale werden durch bestimmte Grundereignisse als spontane Reaktion der Handelnden ausgelöst und dienen in Streßsituationen der Verhaltensstabilisierung.

Für die Politik legt zunächst die Verfassung Rituale fest. Sie enthält eine Vielfalt von Spielregeln, die wiederholbare Vorgänge und Abläufe fixieren. Einige davon strukturieren die Politik in der Zeit.

In der Demokratie sind Zeit und Amt aufeinander angelegt und miteinander verbunden. Die Ämterordnung legt fest, daß die öffentlichen Aufgaben den wichtigsten Amtsträgern nur auf bestimmte Zeit anvertraut sind, von ihnen verantwortet werden müssen und nach Ablauf der bestimmten Zeit wieder neu nur auf bestimmte Zeit übetragen werden. Theodor Heuss hat daher Demokratie als „Macht auf Zeit” verstanden.

Durch Funktionsperiode (vergleiche zum Beispiel in Österreich Artikel 27 und Artikel 60 Bundes-Verfassungsgesetz) wird im politischen Prozeß die Zeit strukturiert. Da man schwerlich über vier bis fünf Jahre hinaus Aussagen in Bezug auf die Zukunft machen kann, entsprechen diese Periodi-sierungen unseren Erfahrungen.

Freüich wird Politik nicht so sehr durch Bescheidenheit aufgrund von Informationsarmut bestimmt, sondern eher durch Anmaßung von Wissen. Diese Anmaßung wird durch die Motivation, in Hinblick auf den nächsten Wahltermin Stimmung zu machen und Stimmen zu gewinnen, gestärkt. Dies bewirkt leider geradezu ein Ritual kurzfristigen Denkens und Handelns.

Die jährlichen Budget- und Rechnungsabschlußdebatten, die vielen Berichte an allgemeine Vertretungskörper, welche Diskussionen auslösen, Fristen, Ta-gungs- und Sitzungsvorschriften ritualisieren Politik und Politiker.

Allein schon die Jährlichkeit der Budgeterstellung und Genehmigung hat Vor-, Neben- und Fernwirkungen, wenn auch die Ausgabekosten und Stellenpläne im wesentlichen nur fortgeschrieben werden (oder je nach Lage dem Rasenmäher- oder Gießkannenprinzip Rechnung getragen wird).

Neue Prioritäten können kaum mehr gesetzt werden. So kommt es im Ergebnis zum permanenten Fortwursteln nach und mit bürokratischen Techniken. Die große Alternative schrumpft zum Sachzwang, der nur mehr die Option offen läßt: gleich viel Bürokratie oder noch mehr Bürokratie einzusetzen.

Zeitspielregeln

Einberufungs-, Verfahrensund Geschäftsordnungsvorschriften, statutarische Notwendigkeiten der Parteien und Verbände, das sogenannte Protokoll, aber auch viele Konventionalre-geln, wie zum Beispiel wöchentliche Ministerratssitzung, Parteivorstandssitzung usw., strukturieren das politische Jahr, wie es das Kirchenjahr nie gewesen ist. Das feinmaschige, kleinkarierte Ritual des politischen Jahres entpolitisiert weitgehend die Politik.

Die Organisation, das Programm und die Selektionskompetenz der Massenmedien sind weitere festgelegte und sich wiederholende Zeitspielregeln für die Politik. Aufgrund dieser Vorhaben der Massenmedien plant die Politik ihre Öffentlichkeitsaktivitäten und bindet sie, zeitlich schon gegliedert, in die Routine des politischen Alltags ein. Politik und Öffentlichkeit sind so miteinander verbunden und ineinander verflochten.

Aus dieser Kooperation ist die Struktur einer politischen Woche entstanden, deren Termine, Rollen, Auftritte und Abgänge, Monologe, Dialoge, Polyloge die Akteure vor und hinter der Bühne in-und auswendig kennen.

Viele Interessen und Ideen kommen beim Starkult der Massenmedien, der nach deren Belieben durch Präferenzen für Außenseiter gebrochen wird, zu kurz. Vor allem kommen im durch die Massenmedien vermittelten Polylog der Politik Minderheiten und Bürgerinitiativen nur ausnahmsweise zu Wort. Durch die Routine der Beteiligten hat sich das Ritual der politischen Woche verfestigt. Scheinbar läuft alles recht bunt ab. In Wirklichkeit gibt es ein ziemlich rigides, monotones Medienzeremoniell.

Als Ausdrucksbewegungen bezeichnet man Verhaltensweisen, die im Dienste der Signalgebung besondere Ausgestaltung erfahren haben.

Solche Ausdrucksbewegungen entstehen in dem treffend als,Jiti-tualisierung” gezeichneten Prozeß aus recht unterschiedlichen Verhaltensweisen, sofern diese einen Erregungszustand regelmäßig genug begleiten, daß sie einem anderen dafür als Indikator dienen.

Reizreaktionen

Ausdrucksbewegung kann, wie Irenaus Eibel-Eibesfeldt sagt, jede Verhaltensweise werden. Mit diesem Zeichensystem ist auch die Wortsprache verbunden. An sich schon ein begrenztes Regelsystem, wird in der ritualisierten Politik auch nur eine begrenzte Zahl von Sätzen gebildet.

Rollen-, Sach- und Zeitstrukturen zwingen nicht selten zu einer politischen Verhaltensweise ä la Pavlon. Es wird auf Reize reagiert, ohne daß ein eigentlicher Anlaß dazu besteht.

Im Sperrkreis der Politik wird das Spiel der Rituale noch ernst genommen. Aber außerhalb der politischen Arena?

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und ÖVP-Landtagsabgeordneter und Gemeinderat in Wien. Der Beitrag ist dem Vorwort entnommen zu Plasser/Olram/Welan (Hrsg.): DEMOKRATIERITUALE UND ELEKTRONISCHE POLITIK, Böhlau Verlag, Wien 1985 (in Druck).

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