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Doppelte Moral

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Was ohnehin jeder durch eigene Beobachtung weiß, bestätigte nun eine von den Meinungsforschungsinstituten Ifes und Fessel im Auftrag des Finanzministeriums durchgeführte Untersuchung: In 15 Prozent aller österreichischen Haushalte wird aktiv gepfuscht - und das ohne auch nur einen Anflug von schlechten Gewissen.

Vergleicht man diese Ergebnisse mit der Aufregung über angebliche Schmiergeldzahlungen und angebliche Schwarzgeldringe, gibt es nur zwei Deutungen:

Entweder wir Österreicher huldigen auch bei der Steuer einer doppelten Moral (wenn der „kleine Mann” Steuer hinterzieht, ist das legitime Notwehr, wenn ein großes Unternehmen schwarz arbeitet, eine ausgesuchte Schweinerei) oder die ganze Entrüstung ist nur eine der Medien.

Gefühlsmäßig glaube ich an die doppelte Moral, wenngleich auch einige Akzente dafür sprechen, daß auch Schwarzgeldgeschäfte großen Stils den Steuerbürgern dieses Landes weit weniger nahegehen als den Medien.

Dem Mogeln bei der Steuer liegt das gleiche Verhaltensmuster, die gleiche Einstellung wie beim Umgang mit anderen anonymen Behörden oder sonstigen Institutionen zugrunde: Wenn der Geschäftspartner kein Gesicht hat, fehlt das Gefühl, jemanden ums Ohr zu hauen.

Wer seine rostigen Auto-scheinwerfer als Steinschlagschaden deklariert und sich auf Versicherungskosten neue besorgt, hält sich in der Regel für clever, nicht für kriminell (wozu zahlt man schließlich Prämie?). Und wer nach seiner privaten Geburtstagsparty im Nobelrestaurant vom Ober die Rechnung „finanzamtgerecht” verlangt, kann der bewundernden Blicke seiner Gäste sicher sein.

Pfusch und Schwarzgeschäfte sind fester Bestandteil praktisch aller Volkswirtschaften. Unterschiede gibt es höchstens im Ausmaß: Während man in Österreich den Anteil der „Underground Economy” - wie der terminus technicus der Ökonomen dafür lautet - mit 15 bis 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (der Summe der Wertschöpfung unserer Wirtschaft) annimmt, dürften es in Italien traditionellerweise mindestens 40 Prozent sein.

Stimmen diese Zahlen, kommt ihnen eine hohe politische Aussagekraft zu: Wenn in Italien tatsächlich zum offiziellen Einkommen noch mal fast die Hälfte schwarz dazu verdient wird, ist der persönliche Wohlstand auch weit größer als in den offiziellen Statistiken ausgewiesen wird. Und - vice versa - der Wohlstandsabstand zu anderen Ländern (in denen weniger schwarz gearbeitet wird) erheblich kleiner.

Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Nur in einem totalitären Polizeistaat sind Pfusch und Schwarzgeschäfte annähernd in den Griff zu bekommen. Angesichts dieser Option ist es mir sogar lieber, wir bleiben ein bisserl unmoralisch, dafür aber frei.

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