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Eine Frau im zweiten Anlauf

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Historischer Durchbruch für die Frauen in der Schweiz, die erst 1971 das Stimm- und Wahlrecht erhalten hatten: Zum erstenmal seit Bestehen des Bundesstaates von 1848 wurde am 2. Oktober mit der 47jährigen Juristin Elisabeth Kopp eine Frau in die siebenköpfige Landesregierung gewählt. Im Dezember 1983 war ein erster, erfolgversprechender Anlauf noch gescheitert und auch diesmal ging der Wahl ein übles Intrigenspiel voraus, das eine Prognose praktisch unmöglich machte.

Unerwartet rasch kamen die Frauen in der Schweiz erneut zu einer Gelegenheit, endlich auch in der Landesregierung vertreten zu sein. Nach knapp eineinhalb Jahren mußte Bundesrat Rudolf Friedrich, Vorsteher des Justiz-und Polizeidepartementes, aus gesundheitlichen Gründen bereits das Handtuch werfen, sodaß wieder ein Sitz frei wurde.

Mit der Demissionsmeldung stand schon fest, daß sich an der seit 1959 geltenden parteipolitischen „Zauberformel" (zwei Christdemokraten, zwei Freisinnige, zwei Sozialdemokraten und ein Vertreter der dem Gewerbe und den Bauern nahestehenden Schweizerischen Volkspartei) nach der auf den 2. Oktober festgesetzten Ersatzwahl nichts ändern würde. Der Anspruch der Freisinnigen war gänzlich unbestritten.

Die Pikanterie lag einzig darin, ob den Frauen der große Sprung diesmal gelingen würde. Denn beim Kandidatenkarussell, das sich sofort nach der Ankündigung von Friedrichs Rücktritt in Bewegung setzte, stand bald einmal die

47jährige Zürcher Juristin und Parlamentarierin Elisabeth Kopp im Vordergrund.

Damit waren die 246 Parlamentarier aller parteipolitischen Schattierungen zur Lackmusprobe gezwungen, ob es ihnen im Dezember 1983 ernst gewesen war mit der Absichtserklärung, die Zeit sei an sich reif für eine Frau, nur die damalige Kandidatin Lili-an Uchtenhagen und der Stil, wie sie durch die Parteigewaltigen der Sozialdemokraten dem Parlament als Wahlgremium „aufgenötigt" werden sollte, habe ihnen nicht zugesagt.

Bekanntlich war Lilian Uchtenhagen erst am Wahltag selbst richtiggehend „ausgebremst" worden.

Im Gegensatz zu ihrer unglücklichen Vorgängerin, die den ersten Anlauf nahm, war bei Elisabeth Kopp klar, daß sie, weniger bei anderen Fraktionen als in ihrer eigenen Partei, nicht überall auf Gegenliebe stoßen würde. Sie ist in der Tat nicht gerade eine „typische Freisinnige" im Sinne der Repräsentierung von Wirtschaft, Industrie und Großbürgertum, sondern stark „grün angehaucht". Sie gilt als konsequente Verfechterin einer umweltgerechten Politik und eines echten Liberalismus.

Das machte sie für die Linke „wählbar" und verringerte die Gefahr, daß es zur Retourkutsche für die maßgeblich von Freisinnigen hintertriebene Wahl Lilian Uchtenhagens kommen konnte.

Aber die Wirtschaftsvertreter, miteingeschlossen die Energielobby, fanden sich nicht mit dem sich in Meinungsumfragen klar manifestierenden Druck des Volkes ab, jetzt eine Frau zu wählen, obwohl man Elisabeth Kopp über alle Parteigrenzen hinweg als äußerst qualifiziert betrachtete. Sie nominierten mit dem 54jährigen Aargauer Bruno Hunziker einen äußerst attraktiven Gegenkandidaten.

Dazu kam in den letzten Tagen vor der Wahl eine eigentliche „Schlammschlacht", bei der die Integrität der Kandidatin zwar nicht angetastet werden konnte, wohl aber diejenige ihres Gatten, des bekannten Wirtschaftsanwaltes und führenden Schweizer Medienrechtlers Hans W. Kopp, dem man verschiedene und teils äußerst peinliche Affären nachsagte und behauptete, dies mache seine Gattin erpreßbar und damit für den Bundesrat untragbar.

Unter diesen Vorzeichen war das Wahlresultat von 124 Stimmen für Elisabeth Kopp gegen 95 von Bruno Hunziker — und damit der Sieg im ersten Wahlgang — fast schon als Sensation empfunden worden. Gemeinhin wurde bis Stunden vor der Wahl eher ein Sieg Hunzikers vorausgesagt.

Analytiker meinten im nachhinein, daß die bösartige AntiKopp-Kampagne sich nach anfänglicher Verunsicherung des Wahlgremiums eher kontraproduktiv ausgewirkt hatte. Jedenfalls war die Wahl der ersten Bundesrätin Tatsache. Die Schweiz hatte einen Moment den Atem angehalten und - schien es - ein Erlösungsseufzer ging am 2. Oktober durch das Land.

Denn bei einer Volkswahl hätte niemand an einen überwältigenden Sieg einer Frau gezweifelt, aber das Parlament mit seinen Lobbies und seinen taktischen Schachzügen schon wieder im Hinblick auf nächste potentielle Vakanzen war ein großer Unsi-cherheitsfaktor.

Mit zur Wahl Elisabeth Kopps beigetragen hat zweifellos die Tatsache, daß sie sich durch das Uberstehen der erwähnten „Schlammschlacht in der Intimsphäre" ohne sichtbare physische und psychische Beeinträchtigung als unerhört belastbar erwiesen und damit den Beweis einer nicht unbedingt von einer Frau erwarteten Eigenschaft erbracht hatte.

Die ganze Schweiz nahm auch mit großem Respekt ihre souveränen ersten Interviews unmittelbar nach der Wahl mit der gewaltigen Nervenprobe zur Kenntnis, bei der sie auf jede Frage druckreife Antworten gab und es von der ersten Minute an verstand, unerhörte politische Sachkenntnis charmant und (wo erlaubt) auch humorvoll zu dokumentieren.

In ihrer Erklärung zur Annahme der Wahl nötigte sie in der historischen Stunde zum Schmunzeln: „Aus naheliegenden Gründen kann ich nicht versprechen, im Bundesrat meinen Mann zu stellen, aber ich werde alles aufbieten, was in mir als Frau und Mensch steckt." Daran zweifelt nach dem überzeugenden Auftreten vor, in und nach dieser historischen Wahl in der Schweiz eigentlich niemand.

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