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„Helsinki war kein Erfolg für die Menschenrechte...“

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Auf Einladung des ÖVP-Clubs „Pro Wien“ verbrachte der sowjetische Dissident Wladimir Maximow einige Tage in Österreichs Hauptstadt, die - wie Erhard Busek anläßlich eines Vortrages von Maximow zum Thema „Freiheit der Menschenrechte“ hervorhob - an einer geopoli-tischen Bruchlinie liege, an der die Weltbilder des totalitären Einparteiensystems und der pluralistischen, gewaltlosen Demokratie aufeinandertreffen würden. Der Wiener Bevölkerimg diese ganz spezifische Lage der Stadt bewußtzumachen und die außenpolitische Bedeutung Wiens in Erinnerung zu rufen, waren Ziele dieser Veranstaltung mit Maximow.

Maximow - Angehöriger der unterdrückten demokratischen Oppositionsbewegung der UdSSR - konfrontiert die freie Welt mit dem Vorwurf, sich zuwenig für den Kampf um Menschenrechte einzusetzen. Wohl gehören Österreich und die Niederlande zu jenen europäischen Staaten, die sich am intensivsten um die Menschenrechte bemühen, Maximow glaubt jedoch, daß die Kritik an der Politik des Ostblocks noch stärker in die Öffentlichkeit gebracht werden muß. Die Dissidentenbewegung brauche zu ihrem Fortbestand die bedingungslose moralische Unterstützung, denn Europas Sicherheit hänge in hohem Maße von der permanenten Kritik am östlichen Totali-

tarismus und vom Bestand der Menschenrechtsbewegung ab. Maximow wörtlich: „Wir brauchen nur das gute Wort von ihnen, alles andere machen wir selbst.“

Im Gegensatz zum spontanen, mit Gewalt verbundenen Widerstand der fünfziger Jahre, verwirft die demokratische Opposition des Ostens heute jede Art von Gewaltanwendung. Ihr Ziel ist es, auf dem Wege der Evolution durch gewaltlose Opposition die Aggressivität der Ostblockregimes zu neutralisieren und die Einhaltung der jeweiligen Verfassungen zu erzwingen.

Maximow, der sich als Christdemokrat versteht, beobachtet eine ständige Ausweitung der Protestbewegung. Besonders erfreulich sei, daß der christliche Anteil innerhalb der Widerstandsgruppen zunehme. Menschliches Leid habe die Rückkehr zu alten Idealen bewirkt, man besinne sich auf das Christentum, auf die traditionellen Werte und setze in dieser Form passiven Widerstand. Die Charta 77 in der CSSR, das Manifest Oppositioneller in der DDR, die geheimen wissenschaftlichen Zusammenkünfte in Polen - all das lasse auf eine starke Ausbreitung des Widerstandes schließen.

Aber auch im Westen findet die Dissidentenbewegung ihre Basis. Ehemalige Maoisten und Trotzkisten, wie es die Vertreter der „Nouve-aux Philosophes“ in Frankreich wa-

ren, suchen heute den Kontakt mit der Bewegung. Maximow lehnt zwar die klischeehafte Terminologie, das Pathos dieser jungen Kämpfer ab, glaubt aber ihre Denkweise zu verstehen. Die „Nouveaux Philosophes“ würden mit ihren Schriften ebenfalls den Kampf für die Menschenrechte führen, meinte der Referent.

Ob im Bekenntnis des Eurokommunismus zur gewaltlosen, evolutionären Gesellschaftsveränderung unter Wahrung des demokratischen Pluralismus eine vage Parallele zur Dissidentenbewegung des Ostblocks zu sehen sei? Maximow weist das mit Entschiedenheit zurück. Wohl hätten einzelne Mitglieder der eurokommunistischen Partei dieses Ziel vor Augen, im Moment der Machtergreifung jedoch werde die systemimmanente Intoleranz zum tragenden Element ihrer Politik.

Im Gegensatz zur Ansicht vieler westlicher Experten sieht Maximow im wirtschaftlichen und politischen Kontakt mit dem Osten vor allem den „Pragmatismus des Denkens“ und die „Reaktivierung der Werte“. Schließlich habe der Westen durch seine Zusammenarbeit das totalitäre Ostblockregime völkerrechtlich und auch moralisch legitimiert. Er bezweifle, daß der Weg von Helsinki Erfolge im Kampf um die Menschenrechte bringen werde.

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