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„Herdenbrief?
Die österreichischen Bischöfe planen für 1990 einen Sozialhirtenbrief. In mehreren Klausurtagungen erarbeitete ein Beraterteam unter der Leitung von Bischof Maximilian Aichem einen Grundtext. Er wollte die Thematik eingrenzen und eine innerkirchliche Diskussion bis hinein in die Basis anregen. Stellungnahmen sollten bis Sommer 1989 dem
Sekretariat Sozialhirtenbrief“ in Linz zugeschickt werden.
Diese Vorgangsweise veranlagte einige zu der abwertenden Feststellung: ,JHer scheint ein Herdenbrief zu entstehen, kein Hirtenbrief!“ Solche Schlußfolgerungen gehen wohl auf zwei Irrtü- mer zurück:
Man meinte, der Grundtext sei schon der Entwurf des Hirtenbriefes. Damit sind also die Bischöfe im wesentlichen festgelegt. Das ist unrichtig: Der erste Entwurf kommt erst nach Einarbeitung aller Stellungnahmen im Spätherbst 1989.
Ein zweiter Irrtum scheint zu sein, bischöfliche Lehraussagen müßten einsam, hinter verschlossenen Türen entstehen. Johannes Paul II. hat in seinem Apostolischen Schreiben ,J? amiliaris Con- sortio“ am Beispiel Ehe und Familie gezeigt, wie der belehrende Dienst der Kirche, also der Hirten, zu leisten sei. Zuerst müsse man sich „um die Kenntnis jener Situationen bemühen, in denen Ehe und Familie sich heute verwirklichen“, schreibt der Papst.
Diese Unterscheidung „wird im Glaubenssinn vollzogen, den der Heilige Geist allen Gläubigen mitteilt, und ist demnach Werk der gesamten Kirche entsprechend den verschiedenen Gaben und Charismen. Die Kirche vollzieht diese ihre evangelische Unterscheidung also nicht nur durch die Hirten, die im Namen und mit der Vollmacht Christi lehren, sondern auch durch die Laien… Die Laien haben sogar aufgrund ihrer besonderen Berufung die spezifische Aufgabe, im Licht Christi die Geschichte dieser Welt auszulegen.“
Solches gilt sicher nicht nur für lehramtliche Aussagen über die Familie, sondern auch über die Arbeitswelt und andere Bereiche. Dann aber haben die Bischöfe nicht nur das Recht, die Basis zu befragen, sondern schier die Pflicht. Die Gläubigen aber, vor allem die Experten, tragen die große Verantwortung, aus ihrem Wissen heraus ihren „Glaubenssinn“ einzubringen.
Die guten Hirten sind schon längst gewöhnt, auf ihre Herde zu hören. Das mindert nicht ihre Verantwortung, sondern nur so können sie ihren Hirtendienst voll leisten. Ein „einsamer“ Hirtenbrief wäre mehr zu fürchten als ein solcher, bei dem die ganze Herde mitdenkt.
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