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Kontrolle via Öffentlichkeit

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Gerade dann, wenn gesetzgeberische Weichenstellungen und staatspolitische Existenzprobleme auf der rtaglichkeitsliste ganz oben stehen, wird der Stellenwert des Parlaments auch als gesellschaftspolitische Clearingstelle deutlich und signifikant sichtbar — jenes Parlament, das in seiner Rolle zwischen eher lästigem „Staatsnotar“ von Regierungsbeschlüssen oder als Diskussionsforum für politisches Show-Business der Apparate nicht eben selten kritisiert wird.

Die höchst wichtige, ja zentrale Rolle des Parlamentes als Kontrollinstanz und -instrument kommt allerdings nicht selten zu kurz. Und zu kurz kommen und kamen auch bisher alle Versuche, eben diesen Kontrollmechanismus des Parlaments zu verbessern.

Nun legte Peter Gerlich, Universitätsdozent und Leiter der Abteilung für Politikwissenschaften am Wiener Ford-Institut, in einer umfassenden Arbeit eben diesen Aspekt frei: „Parlamentarische Kontrolle im politischen System“ analysiert die rechtlichen Grundlagen der Parlamentskontrolle ebenso wie die politische Praxis derselben. Gerlich löst sich von der idealtypischen Modellvorstellung, wonach die Hauptaufgabe des Parlaments in der Gesetzgebung besteht. Vielmehr bestätigen zahlreiche empirische Untersuchungen, daß das demokratische Parlament überall in die Rolle der Mitwirkung am Willensbildungsprozeß und an der Gesetzwerdung gedrängt wird, was jedoch die Möglichkeit für bessere und vermehrte Kontrolle stärkt; Gerlich meint, daß man daher „eher von einem Wandel, als von einem Niedergang des Parlamentarismus“ sprechen sollte.

Das wirft — für die österreichische Situation — oft diskutierte Probleme auf. Tatsache ist, daß das Bundesverfassungsgesetz stark von den Erfahrungen des Konstitutiona-lismus geprägt ist, der ja auch für die politische Ausgangslage und die Väter der Verfassung bestimmend war. Die schon damals, 1920, erkennbaren Tendenzen zum Parteienstaat wurden nicht ausreichend berücksichtigt; und die Verfassung erkennt auch nicht die Parteien (schon gar nicht die Verbände!) als faktische Machtträger im politischen Prozeß an. Damit klaffen Verfassungstext und politische Wirklichkeit auseinander: ein Zustand, den nicht nur Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler beklagen, sondern der auch zu latenten Spannungen zwischen Parlament und Regierung einerseits, den Parteien und der Öffentlichkeit andererseits führte. Überdies ist, so Gerlich, die Ausweitung staatlicher Tätigkeitsbereiche, die Bürokratie und das Parteien- und Verbändewesen von einem ständigen Durchdringungsprozeß gekennzeichnet. Die Zeit der großen Koalition hat im Rahmen dieses langfristigen Prozesses für das österreichische Parlament, das zwischen 1945 und 1966 ja nur ein Schattendasein führte, eine starke Abwertung gebrächt; aber auch nach 1966 wirken viele Elemente der durchdringenden „Konkordanzdemokratie“ nach, verstärkt noch durch die geradezu schon institutionalisierten Elemente der Sozialpartnerschaft: das Parlament darf nur noch nostrifizieren, bestenfalls retuschieren, was in Kammern und Parteisekretariaten schon beschlossene Sache ist.

Die Bedeutung der Arbeit Peter Geruchs liegt allerdings in der Sichtbarmachung der Elemente, die der parlamentarischen Kontrolle noch am stärksten sekundieren: nämlich der Öffentlichkeit. Die unmittelbare Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition in der publizistischen Öffentlichkeit, die Herstellung einer spezifischen Öffentlichkeit im Parlament selbst — das alles effektivisiert erst die Macht der Kontrolle durch die Volksvertretung.

Gerlich meint, daß deshalb die Kontrollapparatur des Parlaments dennoch — bei allen Einschränkungen in der Verfassungswirklichkeit — nach wie vor als bedeutsam anzusehen ist. Denn selbst die öffentlich einzusehende formale Einhaltung rechtlicher Befugnisse und Verfahrensvorschriften bewirkt — im Sinne der Intentionen der Verfassung — „eine Einschränkung und Begrenzung staatlicher Macht. Im Verhältnis von Parlament und Regierung stärkt sie — zumindest indirekt — auch deren politische Wirksamkeit.“

PARLAMENTARISCHE KONTROLLE IM POLITISCHEN SYSTEM, von Peter Ger lieh, Springer-Verlag, Wien-New York, 354 Seiten, 5S0 Schilling.

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