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Mehr Ethos braucht heute jedes System

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Technischer Fortschritt, rationales Denken und Entscheiden in der Wirtschaft und sittliche Verantwortung müssen in der Wirtschaftsgesellschaft unserer Zeit vereinbar sein. Dies war ein Grundgedanke, der in den vorwöchigen Diskussionen der „Societas Ethica" in Warschau sehr deutlich hervorgetreten ist.

Aus unterschiedlichen Gründen fehlt es an dem einen oder anderen in den meisten Staaten, so auch in Polen und in Österreich. Die dramatischen Ereignisse in Polen der letzten Wochen haben deutlich gemacht, daß ein zentra-listisches und überbürokratisiertes Wirtschaftssystem weder geeignet ist, optimale ökonomisch-technische Lösungen zustandezubringen noch dem Freiheitsprinzip als wichtigstem ethischen Grundanliegen der menschlichen Gesellschaft gerecht zu werden.

In Österreich hat die Entwicklung der letzten Monate auf der anderen Seite gezeigt, daß ein rücksichtsloses Durchsetzen von Einzelinteressen auch ein marktwirtschaftliches System sehr wesentlich beeinträchtigen kann: Korruption und Bestechung zerstören den Wettbewerb als Grundvoraussetzung der marktwirtschaftlichen Ordnung.

So wird am polnischen wie am österreichischen Beispiel deutlich, wie wichtig heute eine Zusammenschau ökonomischer und ethischer Ordnungsprinzipien in der modernen Wirtschaftsgesellschaft ist, dies sowohl für ein marktwirtschaftliches wie auch für ein zen-tralverwaltungswirtschaftliches System.

Die Lage in Polen scheint wieder konsolidiert zu sein. Es besteht aber der Eindruck, daß es sich um einen großen Aufbruch handelt, dessen Folgewirkungen nicht abzusehen sind. Eine gesellschaftliche Erneuerung bedarf umfangreicher Diskussionen, vor allem aber starker geistiger Impulse: Diese scheinen heute in Polen vielfach gegeben zu sein.

In seiner Grußbotschaft hat der Primas von Polen, Kardinal Wyszynski, nachdrücklich daraufhingewiesen, daß es in der gesellschaftlichen Situation eben um diese sittlichen Grundwerte geht, ganz allgemein um eine Ordnung der Gerechtigkeit. Auch der polnische Nationalökonom, Professor J. Pa-jestka, hat unterstrichen, daß in vielen Bereichen auch der Wirtschaftsgesellschaft heute das Verständnis für ethische Wertungen zugenommen hat.

Uberall gibt es Gruppen im Schatten einer vermachteten Sozialpolitik, in allen Staaten gibt es echte Benachteiligungen, krasse Ungleichheit. Das Ausmaß dieser Entwicklungen ist allerdings von Staat zu Staat sehr verschieden. Es entspricht der Tradition des christlichen Sozialdenkens, die Sozialpolitik nicht so sehr als Tagesaufgabe zu sehen, sondern in einem großen zeitlichen Zusammenhang, sie in eine umfassende Sozialreform einmünden zu lassen.

Die Warschauer Tagung hat unter dem Vorsitz des Wieners Rudolf Weiler Sozialethiker aus west- und osteuropäischen Staaten zusammengebracht, dies zu einem geschichtlich interessanten Zeitpunkt. Sie war gleichzeitig eine Begegnung katholischer und evangelischer Wissenschaftler, denen es auch um die bessere Nutzung der Möglichkeiten der Politikerberatung geht.

Die Diskussion darüber hat in Warschau breiten Raum eingenommen, österreichische Erfahrungen sprechen dafür, daß die Sozialpartner hier eine maßgebende Rolle haben. Nicht ohne weiters wird dies auf einen Staat wie Polen übertragbar sein, auch wenn das Experiment der freien Gewerkschaften bestmöglich ausgeht.

Denn:Es fehlt der Sozialpartner auf der Arbeitgeberseite; dieser kann nicht allein oder schwerpunktmäßig der Staat sein. So geht es auch um neue Modelle für die Politikerberatung.

Die Warschauer Tagung hat jedenfalls klar gemacht, daß die Diskussion ein wichtiges Element der gesellschaftlichen Erneuerung ist, daß es allerdings darüber hinaus überall vieler zusätzlicher Impulse und Kräfte bedarf, um zu einem echten und dauerhaften Fortschritt beim Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung zu kommen.

Der Aulor ist Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung der Bundeskammer der gewerblichen

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