6854914-1977_11_08.jpg
Digital In Arbeit

Nicht nur Dienstleistungsbetrieb für die Gesellschaft

19451960198020002020

Der von der deutschen Bundesregierung im Vorjahr veröffentlichte Zweite deutsche Familienbericht hat auch im Ausland viel Beachtung gefunden. Da nun auch in Österreich der Wunsch besteht, dem 1969 erschienen ersten Familienbericht der Regierung Klaus demnächst einen zweiten folgen zu lassen, kommt dieser Diskussion erhöhte Bedeutung zu.

19451960198020002020

Der von der deutschen Bundesregierung im Vorjahr veröffentlichte Zweite deutsche Familienbericht hat auch im Ausland viel Beachtung gefunden. Da nun auch in Österreich der Wunsch besteht, dem 1969 erschienen ersten Familienbericht der Regierung Klaus demnächst einen zweiten folgen zu lassen, kommt dieser Diskussion erhöhte Bedeutung zu.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Zweite deutsche Familienbericht behandelt die Frage der erzieherischen Leistungsfähigkeit des Elternhauses und ihrer Grenzen, also das Erziehungsproblem. Die der wissenschaftlichen Entscheidbar- keit vorgelagerten weltanschaulichen Standortfragen bleiben nahezu un- erörtert Problemauffassung und Deutung des empirischen Materials sind aber weitgehend von weltanschaulichen Positionen bestimmt, die sich aus der massiven Familienkritik der linkskonformistischen Gesellschaftsdiskussion der sechziger Jahre ergeben. Die Kernprobleme der Familie und der Erziehung werden mehrheitlich unter dem Einfluß solcher Inspiration gesehen und in dieser Generallinie gesellschaftspolitisch interpretiert.

Zwar wird an der Familie als der für die Kindererziehung immer noch besten Basiseinrichtung einigermaßen festgehalten, doch anderseits das bisherige Grundverständnis von Famüie in entscheidenden Punkten in Frage gestellt oder zumindest in der Substanz stark ausgehöhlt. Bejaht wird die Familie vor allem unter dem Erfordernis der Betreuung kleiner Kinder, weil unter den Bedingungen der Gegenwartsgesellschaft für die Durch schnittsfamilie bisher kein gleichwertig funktionierender Ersatz gefunden werden konnte. In diesem Bereich wird ihr ein vergleichsweise hoher Grad von Tauglichkeit, ja sogar Unentbehrlichkeit bescheinigt.

Ganz im Widerspruch hiezu werden aber bei der praxisbezogenen Problembehandlung Bedeutung und Leistungsvermögen des Elternhauses so stark eingeschränkt oder durch unkritische Akzeptierung familienverdrängender Ersatzeinrichtungen bagatellisiert, daß schließlich nur noch ein Fragment dessen übrigbleibt, was man - gerade auch im pflegerisch-erzieherischen Aufgabenkern - bisher unter „Familie” zu verstehen pflegte.

Diese Widersprüchlichkeit gründete insbesondere in der massiven Relativierung der Familie als einem verbindlichen Ordnungsprinzip für Menschen und Gesellschaft Der Sachverständi genbericht lehnt ein grundsätzliches Bekenntnis zur Familie als einem überzeitlichen Ordnungsprinzip ausdrücklich ab (und verweist es in die „traditionelle” Betrachtungsweise des kirchlich-religiösen Denkens). Es wird sogar der rechtlichen Gleichstellung der Kommunen im Sinne einer prinzipiellen Alternative zu Ehe und Familie das Wort geredet, wenngleich unter der utopischen Bedingung einer funktionierenden Kindererziehung. In diesem wohl stärksten Zugeständnis an die grundstürzenden Veränderungsziele der Neuen Linken entfernt sich die Sachverständigenmeinung eindeutig vom möglichen Reformspielraum der bundesdeutschen Verfassung.

Vom Wertungsgesichtspunkt eines personal-christlichen Menschenbüdes und Lebensverständnisses ergeben sich also gravierende Einwände gegen das Übergewicht der Zielbildorientierungen wie der praktischen Konsequenzen dieses Familienberichts. Insgesamt laufen sie (direkt oder indirekt) auf eine ganz erhebliche bis drastische Bedeutungsminderung oder Wirkein- schränkung der Familie bei ihrer erzieherischen Aufgabe hinaus.

In der Praxis laufen die Leitlinien auf großen Strecken auf einen sehr weitgehenden Rückzug des Elternhauses zugunsten fortschreitender Vergesellschaftung von Pflege und Erziehung der jungen Generation hinaus. Insbesondere außerhalb der frühkindlichen Phase scheint der Grundsatz vorzuherrschen: nur soviel Familie als unbedingt nötig. Auf dieser Generallinie bleiben die famüienpoli- tischen Zielbilder in vielem hinter dem Verpflichtungsbewußtsein eines erheblichen Teiles der Eltemgenera- tion von heute zurück, deren Leitbilder und sittliche Verantwortung noch durch ein famüienorientiertes Lebensverständnis bestimmt sind.

Das Familien Verständnis wird eingeengt auf die Dimension eines Leistungsaustausches mit der Gesellschaft, und zwar im Sinne einer einseitigen Verpflichtung der Familie gegenüber den gesellschaftlichen (staatlichen) Interessen. Das Familienverständnis wird reduziert auf die Vorstellung eines Dienstleistungsbetriebes der Gesellschaft. Nicht der Staat hat ihr um des Menschen willen volle Entfaltungsmöglichkeit zu gewährleisten, sondern sie scheint nur noch der Gesellschaft wegen da zu sein. Die Maxime christlicher Sozialphilosophie „Die Famüie ist vor der Gesellschaft” wird umgekehrt in die Auffassung: „Die Famüie rechtfertigt ihre Existenz nur im Rahmen ihrer Dienstbarkeit an der Gesellschaft”.

In solcher Sicht verliert sie den Rechtfertigungsanspruch auf den ihr nach freiheitlichem Menschenverständnis stets als selbstverständlich zugestandenen Raum auch einer vorgesellschaftlichen Eigenbedeutung, deren Anerkennung nichts zu tun hat mit einer ihr durch die sozialistische Gesellschaftsideologie immer wieder unterstellten gesellschaftsfeindlichen Einstellung. Gesellschaftsfeindlich erscheint dieser Sachverhalt erst dann, wenn man der Familie diesen Eigenraum der Sinngebung und Entfaltung streitig macht zugunsten einer Einengung des positiv gewerteten Familienbegriffs allein auf den erwähnten Bereich gesellschaftlicher Problembewältigung; wenn also der vorgesellschaftliche Anteil des Famüienbe- wußtseins als Gegensatz zu den gesellschaftlichen Interessen interpretiert, die Familie zu ihrem natürlichen Gegenspieler oder gar Feind gestempelt wird.

Erst durch eine solche Sichtweise gesellschaftlich überzogener Ansprüche, die in totalitaristischen Systemen ihre höchste Ausprägung findet, wird Famüie zum Kontrahenten der Gesellschaft hochstüisiert, wird sie vom positiv bewerteten sozialen Basiselement der Gesellschaft zum mißtrauisch be- obachteteten Konkurrenten, ja mitunter zur offen bekämpften „Gegengesellschaft”. Tendenzen einer solchen konfliktorientierten Grundbetrachtungsweise mit stark überzogenen gesellschaftlichen Geltungsansprüchen sind in diesem Famüienbericht zahlreich vorhanden.

Aus dieser Grundvorstellung von Famüie und Gesellschaft ergeben sich viele Konsequenzen für die behandelten Erziehungsfragen. Insgesamt resultiert daraus eine überaus starke Bedeutungsminderung der Famüie im Prozeß der Menschwerdung der nachwachsenden Generation. Im Unterschied zu dem seit der Nachkriegszeit gestärkten Famüienbewußtsein im freien Europa entspricht die familienpolitisch-erziehungspraktische Aussagelinie des Zweiten deutschen Famüienberichts in vielem einer Zustimmung zum Rückzug auf die Position eines erzieherischen Minimalismus des Elternhauses. Die daraus hervorgehende Problematik einer solchen famüienfemen Heranbüdung der jungen Generation wird tendenziös verschwiegen. In dieser Problemschau geraten die Kinder immer mehr aus der bisherigen Erstzuständigkeit ihrer Eltern in die Obhut der Gesėll- schaft.

Eine solche Änderung der Sichtweise wird auch dadurch unterstützt, daß die Sachverständigenkommission das Vorhandensein elterlicher Pflichtvergessenheit zum Anlaß unbegründeter Aufschaukelung eines aUgemeinen Mißtrauens gegen die bestehenden Erziehungsrechte der Eltern nimmt. Die Erziehungshorizonte dieses Famüienberichts münden schließlich schwerpunkthaft in eine famüiendistanzierte staatliche Kinderpolitik, was etwas ganz anderes ist als die das Elternhaus bestimmend in den Mittelpunkt der erzieherischen Konzeption stellende Famüienpolitik.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung