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Nur wenige Brückenbauer

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Rote kontra Schwarze und umgekehrt: ein neues Buch dokumentiert, klar differenzierend, die Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Austro-marxismus.

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Rote kontra Schwarze und umgekehrt: ein neues Buch dokumentiert, klar differenzierend, die Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Austro-marxismus.

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In Böhlaus zeitgeschichtlicher Bibliothek befaßt sich Gerhard Steger mit der Haltung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs zu Religion, Christentum und Kirchen in der Zeit vom Hainfelder Parteitag 1888/89 bis zum Verbot der Partei durch die Regierung Dollfuß — einem Thema, das viele Schwierigkeiten zu erklären vermag, mit denen wir bis heute zu kämpfen haben.

Der Autor, Ministersekretär im Finanzministerium unter Herbert

Salcher, stützt sich auf umfangreiches Quellenmaterial, das Literaturverzeichnis allein umfaßt elf Druckseiten. Die zahlreichen Zitate machen das-Werk etwas schwer leserlich, der Inhalt aber ist klar und übersichtlich gegliedert.

Im Linzer Programm, dem klassischen Dokument des Austro-marxismus, verstand sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei als offen für alle von Kapital und Großgrundbesitz Ausgebeuteten, ohne Unterschied ihrer religiösen Uberzeugung, bekannte sich aber zum Kampf gegen „Kirchen und Religionsgemeinschaften, welche ihre Macht über die Gläubigen dazu benutzten, dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse entgegenzuwirken ...“

Schon weil ihr an der Gewinnung auch der Christen für die Idee des Klassenkampfes lag, wollte die SDAP nicht in erster Linie den Kirchenkampf. Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche aber war wegen der Nähe des Klerus zu den Katholisch-Konservativen und später zu der Christlichsozialen Partei — mit Ausnahme der letzten Monate der Ersten Republik - von Anfang an schlecht.

Dennoch wählte schon damals eine beträchtliche Anzahl der Katholiken sozialdemokratisch. Von Rom und den österreichischen Bischöfen aber wurde der Sozialismus als gefährlicher und hoffnungsloser Irrtum in Bausch und Bogen verdammt.

Steger untersucht nun die Frage, ob innerhalb der SDAP überhaupt Raum für ein christliches Heilsverständnis gewesen sein kann.

Zunächst erstaunlicherweise, hat Religion in der SDAP aber sehr wohl immer eine Rolle gespielt: Das Thema wurde in zahlreichen Vorträgen behandelt und nahm in der Arbeiterzeitung großen Raum ein und nicht immer nur negativ.

Der Autor befaßt sich schließlich mit den Auswirkungen der Beschäftigung mit Religion als Vermittlung der Begrenztheit des Individuums und der Gesellschaft mit einem Jenseits und stellt die Frage, ob nicht gerade dadurch tatsächlich revisionistisches Gedankengut in die Partei eingeflossen sei.

Eine nähere Auseinandersetzung mit der ausgezeichnet belegten Haltung der SDAP zu Religion, Klerikalismus, Papst, Vatikan, Kirchengeschichte und so weiter, die Forderungen etwa zum Thema Abtreibung scheinen mir fast eine Pflichtlektüre für jeden, der sich heute mit der Stellung der Kirche in unserem Land auseinandersetzt.

Bemerkenswert ist zum Beispiel, daß die Haltung der Partei

(Archiv) zu den evangelischen und der altkatholischen Glaubensgemeinschaft nie so problematisch gewesen ist. Sie haben zwar in der Politik kaum eine Rolle gespielt, die Haltung etwa der Calvinisten zu wirtschaftlichem Erfolg hätte klassenkämpferischen Idealen eigentlich sehr wohl Anlaß zu Kritik bieten können.

Der Autor wertet diese Tatsache als Beweis dafür, daß der Kampf nicht gegen den Glauben an sich gerichtet war.

Ausführlich geht Steger dann auf Nebenlinien innerhalb der SDAP ein, die unterschiedliche Haltungen zu diesen grundsätzlichen Fragen eingenommen haben. Er teilt sie in drei Gruppen: Jene, die den Sozialismus als Erbe christlicher Nächstenliebe betrachteten; jene, die Sozialismus statt Christentum forderten.

Sie, die Freidenker, waren die großen Gegner der dritten Gruppe, dem Bund der religiösen Sozialisten und der unbedeutenderen Vereinigung für biblischen Sozialismus.

Der Autor versucht nachzuweisen, daß innerhalb der SDAP durchaus Raum für christliche Eschatologie vorhanden war, wenn auch die Sozialdemokraten, die auf dem Boden christlichen Heilsverständnisses standen, niemals dominierten.

Immer wieder aber spürte man Unbehagen innerhalb des Sozialismus, dessen Anhänger mit der Unmöglichkeit fertig werden mußten, ein angestrebtes Ziel in absehbarer Zeit oder vielleicht überhaupt in der erträumten Form zu erreichen.

Die Kirche hat darauf mangelhaft reagiert. Die Stellungnahmen von Papst und Bischöfen, die Steger in der Einleitung zitiert, zeugen von einer Distanz und Furchtsamkeit, die mit christlicher Liebe unvereinbar scheint. Die wenigen Brückenbauer wie zum Beispiel Michael Pfliegler spielten auch auf dieser Seite der Auseinandersetzung keine maßgebliche Rolle.

Der Zusammenhang damit, daß Sozialismus vielen nicht nur mehr als gesellschaftlicher Aufstieg bedeutete, sondern zu einer Art gar nicht nur materialistischen Religion werden mußte, scheint klar und ist bedrückend.

ROTE FAHNE, SCHWARZES KREUZ. Von Gerhard Steger. Verlag Böhlau. Wien 1988, 329 Seiten, öS 380,-.

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