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Reagieren oder Agieren?

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Die tinmittelbar vor dem Rundesparteitag der ÖVP erneut entflammte Personaldiskussion — diesmal um die Person Heribert Kohlmaiers — ist nichts anderes als ein Symptom, daß es der österreichischen Volkspartei seit dem Verlust der Wahlen im Jahre 1970 bzw. 1971 nicht gelungen ist, sich in der oppositionellen Rolle zurechtzufinden und dadurch eine Profilierung der ÖVP als Alternative zur Regierungspartei bislang nicht stattgefunden hat.

Insofern — und nur unter diesem Aspekt — ist die Personaldiskussion verständlich; sie ist Ausdruck eines latenten Unbehagens, daß sich die ÖVP heute wie vor drei Jahren noch immer im „Trockendock“ befindet. Insbesondere die Landesparteiorganisationen (nicht nur die der Steiermark), die in ihrem Bereich versuchen, Reformen durchzudrücken, fühlen sich von der Wiener Parteizentrale entfremdet, während man in der Kärntnerstraße immer wieder den — berechtigten — Vorwurf hören kann, daß die relativ autonomen Landesorganisationen nicht die finanziellen Beträge beisteuern, die für eine effiziente Parteiarbeit notwendig sind.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß gerade eine Partei, die sich in der Opposition befindet und somit nicht über die sachlichen und personellen Möglichkeiten verfügt, wie etwa eine Regierungsparted, ein geordnetes und gesundes Finanzierungswesen braucht. Zwar hat die ÖVP auf ihrem Reformparteitag die Parteifinanzierung auf eine neue Grundlage gestellt, prinzipiell hat sich wenig geändert. Die „Kärntnerstraße“ ist nach wie vor auf die Lan-desparteiorganisation.en, die Bünde sowie milde Gaben seitens wohlmeinender Unternehmer angewiesen. Dies führt dann zu so grotesken Situationen, daß zum Beispiel die „Politische Abteilung“ der ÖVP über lediglich vier Mitarbeiter verfügt, während etwa in London, im Hauptquartier der „Conservative Party“, 32 Eggheads (darunter mehrere „postgraduates“) ständig an der Arbeit sind. Mit neidischen Blicken sehen die heimischen Jungtürken auch über die nahe Grenze in die benachbarte Bundesrepublik, wo die CDU in Bonn ein politisches Büro mit allen jenen Fazilitäten besitzt, die erst die Grundlage für eine ernsthafte und zielführende politische Arbeit bilden.

Das Arbeitspensum, das in der Kärntnerstraße verrichtet wird, ist dennoch beachtlich — kann jedoch eher durch einen hohen Grad an Qualität der Mitarbeiter sowie großen persönlichen Einsatz erklärt werden, als durch großzügige Ausstattung.

Kritik wird auch immer wieder an der schwerfälligen Willensbildung bzw. der reduzierten Reaktionsgeschwindigkeit der Parteispitze laut. Die wöchentlichen Sitzungen des Parteivorstandes haben zweifellos gegenüber den früher üblichen zwei-bis vierwöchigen Intervallen wohltuende Abhilfe geschaffen, dennoch ist hier offensichtlich Sand im Getriebe; eine Tatsache, die nicht zuletzt ihre Ursache in der mangelnden Koordination der Parteispitze bzw. oft halbherziger bünde-gebundener Entscheidungsfreudigkeit der Spitzenpolitiker hat.

So schreibt zur innerparteilichen Willensbüdung Rudolf Wimmer in der jüngsten Ausgabe der österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft: „Eine Analyse der Zusammensetzung (des Bundesparteitages) zeigt folgende interessante Aspekte: eine überstarke Repräsentanz von Ex-offo-Mitgliedern, die Bezugnahme bei den Landesdelegierten auf die Wählerschaft und den Einbezug der nahestehenden Verbände.“

Trotz der auf dem Reformparteitag gefaßten Beschlüsse ist es der ÖVP bislang nicht gelungen, mit ihrer bündischen Struktur ins reine zu kommen. Institutionen, die in der Vergangenheit ihre Berechtigung, ja Notwendigkeit hatten, wurden unre-flektiert und unkritisch übernommen, dabei den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen in keiner Weise Rechnung getragen. Wimmer (a. a. O.) formuliert unmißverständlich: „Die bündische Struktur der ÖVP legt im Hinblick auf die Frage nach der innerparteilichen Demokratie den Schluß nahe, daß eine verbandsinterne Demokratisierung Grundbedingung für eine Strukturänderung der Gesamtpartei ist. Offen bleibt allerdings, ob die grundlegenden Interessenwidersprüche innerhalb der Partei eine solche Demokratisierung überhaupt gestatten.“

Diese Frage kann nicht leichtfertig beantwortet werden; es besteht jedoch dann eine Chance, wenn es der Partei gelingt, den Bestrebungen reformfreudiger Mitarbeiter (und deren gibt es nicht wenig) ein Tor aufzustoßen. Ein Prozeß freilich, der auch personelle Konsequenzen zur Folge haben muß. Eine Aufgabe, die durch die erheblichen Schwierigkeiten, mit denen sich die SPÖ derzeit konfrontiert sieht, wesentlich erleichtert wäre.

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