6874539-1978_39_06.jpg
Digital In Arbeit

Stadtwähler werden mobiler

19451960198020002020

Ist großstädtische Kommunalpolitik ein selbstverständliches Refugium einer Partei? Jüngste Beispiele im Ausland haben gezeigt, daß die Bewohner von großen Städten solche Fragen mit Hilfe des Stimmzettels durchaus verneinen. Wodurch kommt ein plötzlicher Aufbruch festgefahrener politischer Strukturen im kommunalen Bereich zustande?

19451960198020002020

Ist großstädtische Kommunalpolitik ein selbstverständliches Refugium einer Partei? Jüngste Beispiele im Ausland haben gezeigt, daß die Bewohner von großen Städten solche Fragen mit Hilfe des Stimmzettels durchaus verneinen. Wodurch kommt ein plötzlicher Aufbruch festgefahrener politischer Strukturen im kommunalen Bereich zustande?

Werbung
Werbung
Werbung

Peter A. Ulram, Politikwissenschaftler und Experte für Kommunalpolitik, sowie Planungspartizipation, hat so-' zialistische Kommunalpolitik in Wien, Stockholm und Bologna untersucht und die Ergebnisse seiner Recherchen in einem Buch miedergeschrieben („Zwischen Bürokratie und Bürger“, Braumüller, Wien 1978). Die österreichische Bundeshauptstadt schneidet bei diesem Vergleich mit dem „roten Bologna“ und der schwedischen Hauptstadt - die inzwischen auch von einer bürgerlichen Mehrheit regiert wird - denkbar schlecht ab: Der Partizipationsbereitschaft und dem kommunalpolitischen Interesse in Stockholm und Bologna stehe in Wien weitverbreitete politische Apathie gegenüber, sowohl was die Wahlbeteiligung als auch was spontane Initiativen betreffe.

Gerade die weitgehende Verfilzung von Partei und Verwaltung, die Ulram in Wien ausmacht, ist mit ein Grund, daß deutsche Großstädte wie Stuttgart, Frankfurt oder München, die jahrzehntelang als uneinnehmbare sozialdemokratische Bastionen galten, in die Hände der Christdemokraten gefallen sind. Fehlplanungen, finanzielle Mißwirtschaft und die innere Zerstrit-tenheit der regierenden Sozialdemokraten, die den Bürgern nicht verborgen blieb, haben die sich in der Opposition befindlichen Christdemokraten auszunutzen verstanden.

Erste Überraschung in einer Kette von CDU-Triumphen in größeren Städten war der Sieg Manfred Rommels gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Conradi bei der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl 1974. Das war das erste Mal seit Jahrzehnten, daß ein Christdemokrat in einer der wirklich großen Städte der Bundesrepublik den Chefsessel übernehmen konnte.

In der Mainmetropole Frankfurt regiert seit dem 2. Juni 1977 der CDU-Politiker Walter Wallmann als Oberbürgermeister. Der Stadtverordnetenversammlung mit einer klaren absoluten

CDU-Mehrheit (50 CDU, 38 SPD, 5 FDP) steht seit damals ein von der SPD beherrschter Magistrat gegenüber!

Und schließlich schaffte es der CSU-Politiker Erich Kiesl im März

dieses Jahres, eine seit drei Jahrzehnten die bayrische Landeshauptstadt München regierende SPD-Mehrheit aus dem Sattel zu heben. Die CDU wurde über Nacht die stärkste Partei, erhielt unter ihrem Spitzenkandidaten auf Anhieb 51,4 Prozent der Stimmen. Die SPD verlor ihre sämtlichen elf Müncher Direktmandate im Landtag.

Freilich sind die Triumphe der CDU und CSU in Stuttgart, Frankfurt und München nicht unbedingt der Beweis einer Trendumkehr innerhalb der Wählerschaft, in großen Städten. Sie zeigen jedoch eines deutlich: Wenn die Bürger großer Städte erkennen, daß ihre politische Führung der Versuchung kommunalpolitischer Verfilzung erliegt, sich also die sogenannte „Halbkorruption“ breitmacht, machen sie dem mit Hilfe des Stimmzettels ein Ende. Und sie trauen es christdemokratischen beziehungsweise konservativen Kommunalpolitikern durchaus zu, diese Probleme zu meistern.

Anders ist'die Situation in Italien. Hier haben die Kommunisten Städte erobert, die jahrzehntelang in den Händen der christdemokratischen Partei waren. Und gerade in Rom, Bologna oder in anderen großen Städten des Landes, die die KPI eroberte, werden Akzente gesetzt, die auch die Gestaltung der nationalen Poütik Italiens entscheidend mitbeeinflussen könnten.

Die Strategie der KPI ist allzu deutlich: Den Italienern soll mit Beispielen aus der Provinz und aus großen Städten überzeugend vor Augen geführt werden, daß die Probleme auf kommunaler und nationaler Ebene sich eben nur mit der direkten Beihilfe der Kommunisten meistern lassen. Jetzt schon vermögen sie der öffentlichen Meinung zu beweisen, daß mit ihnen an der Spitze scheinbar besser Lethargie und Immobilismus der Verwaltungen überwunden werden können. Deshalb das starke Engagement der italienischen Kommunisten im kommunalpolitischen Bereich. Und diese politische Alternativstellung der „roten“ italienischen Städte scheint ähnlich der Alternativstellung des „roten Wien“ der Zwischenkriegsjahre!

Markante Beispiele für das Aufbrechen jahrzehntelanger kommunalpolitischer Strukturen lassen sich auch in Nordeuropa ausmachen.

In den norwegischen Städten Oslo und Trondheim, landeten 1971 die Frauen einen großen Coup. Sie zogen mit der Parole „Frauen wählt Frauen“ in die kommunalen Wahlkämpfe und hatten sensationellen Erfolg. Während im norwegischen Landesdurchschnitt gerade 14 Prozent der Abgeordneten Frauen waren, entfielen in der Hauptstadt nicht weniger als 56,5 Prozent der Stimmen auf weibliche Kandidaten.

In den folgenden vier Jahren waren in Oslo dann 48 der 85 Mitglieder des Stadtrates Frauen. Als ihren größten Erfolg führen die Frauen heute an, daß sie in diesen Jahren die Zahl der Kindergartenplätze vervierfacht haben. Sie haben auch andere sozialpolitische Akzente gesetzt, aber nach Ablauf der ersten Legislaturperiode war es mit der Frauenmehrheit wieder vorbei. Zum Großteil aus altbekannten Gründen: Manche Mandatarin fühlte, daß sie der Doppelbelastung Mandat-Familie nicht länger gewachsen war. So verzichteten zahlreiche Abgeordnete auf ihre Wiederwahl. Immerhin sind auch heute noch 37 Prozent der Mitglieder des Rathauses in Oslo Frauen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung