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Digital In Arbeit

Vom Lehnstuhl in den Schleudersite

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Er träumt (noch) von keinem „Wahlsieg, der sich gewaschen hat“. Der neue 0 VP-Generalsekretär geht ohne Illusionen an die Arbeit. Aber auch ohne bunte Zukunftsvisionen.

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Er träumt (noch) von keinem „Wahlsieg, der sich gewaschen hat“. Der neue 0 VP-Generalsekretär geht ohne Illusionen an die Arbeit. Aber auch ohne bunte Zukunftsvisionen.

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FURCHE: Welcher Windschutzgürtel hat bislang den Westwind in der Bundes-ÖVP aufgehalten? Auch Sie sind ja nicht ganz freiwillig nach Wien übersiedelt.

GENERALSEKRETÄR KU-KACKA: Freiwillig schon, aber sicher nicht ganz ohne moralischen Druck. Ich bin dahingehend motiviert worden, als man mir erklärt hat, daß es nicht angehe, daß die Bundesländer ständig Kritik an der Bundespartei üben, selbst aber nicht bereit sind, ihren landespolitischen Lehnstuhl mit einem bundespolitischen Schleudersitz zu vertauschen.

FURCHE: Woran liegt es aber, daß niemand zuvor den Schleudersitz wollte?

KUKACKA: Das hat viele Gründe, private und familiäre auch. Es ist nicht so einfach für einen Landespolitiker, nach Wien zu übersiedeln. Natürlich sind es auch politische Gründe. Es scheut sich jeder, seine politische Heimat zu verlieren und der eigenen Parteiorganisation entfremdet zu werden. Das hat auch bei meinen Überlegungen eine gewisse Rolle gespielt. Es ist ein Problem, daß man dann alleine der Kälte des Wiener Klimas ausgesetzt ist.

FURCHE: Ist es nicht auch die Angst vor dem sogenannten Wiener Parkett?

KUKACKA: Das spielt auch eine Rolle. Sicherlich ist das Wiener Parkett glatter als das in den Bundesländern. Sicher werden Fehler weniger verziehen als in den Bundesländern. Das politische Klima insgesamt ist in Wien gnadenloser, aber trotzdem gibt es sicher ausreichend viele politische Talente in den Bundesländern, die durchaus in der Lage wären, Spitzenfunktionen in der Bundespolitik zu übernehmen.

FURCHE: Sind das die Leute, über die Sie in der FURCHE (48/ 1986) als „neues, integres und nicht veraltertes politisches Personal, das die Identifikationsmöglichkeiten für sämtliche Wählergruppen ermöglicht“, beschrieben haben? Werden die jetzt herangezogen?

KUKACKA: Ja, es gibt solche Überlegungen. Das muß aber mit den Landesparteiorganisationen und mit dem Bundesparteiob-mann abgesprochen werden. Sicherlich wird es notwendig sein, daß die Volkspartei ihre politischen Talente in den Ländern stärker nach Wien beordert, als das bisher der Fall war.

FURCHE: Bietet die ÖVP-Re-gierungsmannschaft heute das, wünschenswerte Maß an Identifikation? Müßte da nicht eine Nachjustierung vorgenommen werden?

KUKACKA: Nein, derzeit nicht. Es wird eine Arbeit geleistet, deshalb steht eine Regierungsumbildung derzeit auch nicht zur Diskussion. Aber es gibt sicherlich noch andere Leute, die in späterer Zeit für eine Regierungsfunktion in der ÖVP-Frak-tion in Frage kommen.

FURCHE: Zurück zum Westwind — herrscht in Ostösterreich Windstille? Woher kommen diese unterschiedlichen Windverhält-

TLXSS€ ?

KUKACKA: Westwind meint vor allem, daß sich die ÖVP auf Bundesebene der Erfolgsrezepte in den Bundesländern besinnen sollte. Das ist mehr Geschlossenheit, Einheitlichkeit, mehr Selbstbewußtsein, weniger quälende Selbstzweifel. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung zur Selbstfindung, und das sehe ich vorerst einmal als eine wichtige Aufgabe: mehr Ruhe in die relativ aufgeregte Situation innerhalb der ÖVP hineinzubringen.

FURCHE: Was bedeutet frischer Westwind jetzt konkret für die nächsten Monate?

KUKACKA: ... daß die von mir schon erwähnte Ruhe in die Partei einkehren soll, mehr Gelassenheit gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber den Medien, gegenüber der gegnerischen Kritik. Weiters wird ein wichtiger Punkt sein, die Führungsfähig-keit des Parteiobmannes deutlich herauszustreichen und klarzumachen, daß die verschiedenen Konflikte innerhalb der Partei zwischen Ministern und Landesorganisationen nicht zu Lasten des Parteiobmannes und der Parteispitze ausgetragen werden dürfen. Dann geht es darum, organisatorisch die Partei vom Kopf auf die Beine zu stellen, das heißt, die Kommunikations- und Informationswege innerhalb der Partei effizienter zu gestalten. Wir müssen einerseits besser als bisher über unsere Rolle in der Koalition aufklären, und die Parteispitze muß besser und ausreichender informiert werden, was eigentlich das Volk, die Parteibasis, denkt und fühlt.

FURCHE: Sie wünschen „mehr Ruhe“. Wie zum Beispiel kann es sie im Draken-Konflikt geben, wenn weder steirische ÖVP noch Bundespartei von ihrer Position abzurücken bereit sind?

KUKACKA: Wenn sich bei beiden Positionen nichts ändert, dann wird dieser Konflikt sicher nicht gelöst werden können. Mir geht es darum, in Gesprächen diese beiden Positionen anzunähern und ein entsprechendes Krisenmanagement zu betreiben.

FURCHE: Müßte man nicht überhaupt etwas offener über die offenkundigen Konflikte reden?

KUKACKA: Diese Diskussion sollte sich in der Phase, in der die Partei jetzt ist, in den Gremien der Partei und nicht vor der Öffentlichkeit abspielen.

FURCHE: Die ÖVP möchte auf der einen Seite die Stammwähler nicht vernachlässigen, auf der anderen muß sie Randschichtenwähler für die Partei gewinnen. Sie haben das Bild von der Stammkundschaft und von'der Laufkundschaft vor Augen. Was soll die ÖVP für die Laufkundschaft attraktiv machen?

KUKACKA: Es geht darum, daß wir unsere Politik an den Grundproblemen der Gesellschaft orientieren. Die großen Grundprobleme sind vorgegeben: die Uberschuldung des Staates, die Budgetdefizite, die Krise der Verstaatlichten Industrie. Zu all diesen Problemen hat die Volkspartei schon in ihrer Oppositionszeit klare Vorschläge vorgelegt. Daß das nicht entsprechend bei den Wahlen honoriert wurde, liegt ja daran, daß sowohl Sozialisten wie Freiheitliche die Themen und auch die Problemlösungen von der ÖVP übernommen haben. Die Sozialisten haben einen radikalen ideologischen und politischen Kurswechsel gemacht. Ähnliches hat auch die FPÖ vollzogen, die sich nunmehr in keiner Weise mehr mit dem identifiziert, was sie selbst in der Regierung mitgetragen hat. Unser Problem— durch diesen radikalen Kurswechsel der beiden Parteien - ist, klarer sichtbar machen zu müssen, was uns denn jetzt eigentlich von den anderen unterscheidet.

FURCHE: Sie haben in der FURCHE etwa gemeint, die ganze Steuerdiskussion wäre schon für den letzten Wahlkampf dilettantisch aufbereitet worden, der Wähler würde sich gerne auskennen. Heute kennt sich der Wähler noch immer nicht aus. Rückt die ÖVP nun mit ihren konkreten Vorstellungen heraus?

KUKACKA: Ja, davon gehe ich aus. Wir arbeiten an einem neuen Steuerkonzept. Hier muß man zwei Ebenen unterscheiden: Die Ebene der Koalition, wo wir natürlich als der kleinere Partner zu Kompromissen gezwungen sind. Da kommt unser Profil nicht ausreichend deutlich zum Ausdruck.

Es gibt aber daneben die Parteiebene. Hier müssen wir uns stärker als bisher profilieren, damit es eben nicht zu einer Verwischung dieser Parteiprofile kommt.

FURCHE: Alles kreist mehr oder minder um die Tagespolitik. Und die fernere Zukunft ?Die Bemühungen der ÖVP mit Zukunftskommissionen und ähnlichen Foren haben den Erfolg der „A ktion 20“ nicht mehr wiederholen können. Hapert es nicht auch da?

KUKACKA: Wir dürfen die Ansprüche an solche „Zukunftsarbeit“ nicht allzu hoch setzen, weil wir immer wieder gesehen haben, daß wir von den internationalen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen überholt werden. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der wir uns für Atom-Programme entschieden und dann aufgrund der technologischen Entwicklung gesehen haben, daß das eine Sackgasse ist. Was sollen Leute mit Zukunftsvisionen anfangen, wenn wir nicht in der Lage sind, die Probleme der nächsten drei, vier Jahre zu bewältigen. Dieser Widerspruch ist es, der die Diskussion um die Zukunft so ins schiefe Licht gebracht hat.

FURCHE: Dann verliert aber die Politik Visionen.

KUKACKA: Das ist richtig. Nur wurden ja auch die Visionen der siebziger Jahre von der Realität anders überholt. Es geht heute nicht darum, große Visionen für das Jahr 2000 und danach zu entwickeln, das sollten Politiker Zukunftsforschern überlassen, wir müssen darangehen, sachkundig und in einem vertrauensvollen Klima die Probleme der Gegenwart und der nächsten fünf Jahre zu lösen. Wenn uns das gelingt, ist ein großer Schritt für eine gute Zukunft getan.

FURCHE: Haben Sie sich persönlich ein Ziel gesetzt? Ihr Vorgänger hat von einem Wahlsieg, „der sich gewaschen hat“, geträumt.

KUKACKA: Nein, mit einem so hohen Anspruch trete ich nicht an. Man muß realistisch von der derzeitigen Situation der Partei ausgehen — und die ist nicht besonders gut. Es geht darum, die Partei zu stabilisieren, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie in Zukunft wieder mehr Vertrauen finden kann. Die Partei muß wieder die Mehrheitsfähigkeit gewinnen, die jetzt in Frage gestellt ist.

Mit dem neuen geschäftsführenden OVP-Generalsekretär Helmut Kukacka sprach Hannes Schopf.

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