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Wirtschaft und soziale Ordnung

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Zwei Probleme tauchen bei der wissenschaftlichen Behandlung des sozialwirtschaftlichen Lebens immer wieder unbewältigt auf: das Problem Theorie und Geschichte und das Problem Wirklichkeit und Wert. In dem einen wie in dem anderen geht es im Grunde um die Frage, in welcher Weise die volle Wirklichkeit des Gegenstandes umfaßt werden könnte und zugleich um die theoretische Frage, was denn im Ablauf der Wirtschaft aller Zeiten und Kulturen das Bleibende ist, das die Methode bestimmen muß. Ganz einfach sind diese Fragen nicht zu behandeln und nicht zu bewältigen. Immerhin aber, so man den Fragen nachgeht, die das Leben stellt, kann man wohl sagen, daß die Wirklichkeit der gegenwärtigen Wirtschaftsgesellschaft zu solchen Fragestellungen drängt, sie müssen von der Wissenschaft aufgegriffen werden — und sind vielfach schon aufgegriffen worden —, will die Wissenschaft die Wirklichkeit nicht verfehlen und die Antwort verhängnisvollen Ideologien überlassen.

Das ist offenbar der methodische und wirtschaftsgeschichtliche Ausgangspunkt von Anton Tautschers Schrift „Die Wende in der Wirtschaf tsentwioklung: von den ökonomischen Quanten zum Quäle des Menschen“. Es war selbstverständlich nicht möglich, die ganze Problematik, die hier sichtbar wird, auf 50 Seiten bis in die Einzelheiten zu behandeln. Dem kürzlich verstorbenen Anton Tautscher ist es aber sehr wohl gelungen, alle wichtigen und entscheidenden Punkte des Themas zu umreißen. Das sei hier kurz aufgezeigt.

Da ist zuerst die Tatsache, daß innerhalb der geschichtlichen Lebensformen — Mittelalter, Absolutismus, Liberalismus, Gegenwart (Totalitarismus) — jeweils bestimmte Ordnungsprinzipien herrschten, auch in der Wirtschaft, die der Auffassung vom Menschen und von der sozialen Ordnung ihr Dasein verdankten. Was wir „freie Wirtschaft“ im Sinne des Liberalismus nennen, beruhte auf dem Menschenbild der Zeit und sollte es vollenden. Sie konnte aber nur eine Übergangsform sein von einer sozialen Ordnungsform der Wirt-ichaft zu einer anderen, denn sie verkannte den Menschen und das Wesen der sozialen Ordnung, die sich auch in der Wirtschaft vollenden muß. Der französische Wirtschaftswissenschaftler und -histori-ker Piettre spricht von einer Aufeinanderfolge von economie subordon-nee — economie independente — economie dominante, die sich wieder in eine economie subordonnee verwandelt. In welchem Sinn „untergeordnet“?

Tautscher sagt es klar. Die Ordnung der Wirtschaft, die heute weit-

hin das Zentralproblem des sozialen Lebens geworden ist, muß ihren Mittelpunkt finden im Menschen und der menschlichen Ordnung. Wirtschaft ist in ihrem Sinn „Mittelsystem für die Selbstverwirkli-:hung des Menschen“. Ordnungsdenken muß heißen, „die Wirtschaft in ien Rahmen von Mensch und Gesellschaft stellen“. Hier wird die heutige — doch so selbstverständliche — Fragestellung sichtbar. Die praktische Wirtschaft von heute „entdeckt wieder den Menschen und will sich an seinen personalen und gesellschaftlichen Werten orientieren“. Demgegenüber meint Tautscher, daß „die noch geltende Wirtschaftswissenschaft durch die Wertfreiheit die lebendige Wirtschaft vom Menschen und von der Gesellschaft (trennt) und... auf diese Weise der Wirtschaftslehre die wertbestimmende und wertorientierte Grundlage“ entzieht.

Mit der daraus sich ergebenden Forderung Tautschers nach einer .neuen Sozialwirtschaftslehre ... uf der Grundlage der Wissenschaft vom Menschen“, stellt sich freilich eine Fülle von Fragen und Aufgaben, denen wir hier nicht nachgehen können. Wenn er mit Recht den grundsätzlichen Wandel vom Gewinnmaximum zum angemessenen Gewinn, vom forcierten zum angemessenen Wachstum fordert, so erhebt sich sowohl die Frage nach dem Maße, die eine Ordnungsfrage und eine technologische ist, als auch die Frage nach der Erweckung des Sinnes für Maß im heutigen grundsätzlich maßlosen Sozialbewußtsein. Praktisch freilich ist es mehr denn je auch Aufgabe der Wissenschaft, die Ratlosigkeit der Gegenwart durch bewußte Verantwortung für die Zukunft zu überwinden. Theoretisch zeigt sich bei

Tautscher ein auf lange Frist begründetes Vertrauen in die Wirkkräfte der Geschichte, zu denen auch die Freiheit des Menschen und äie von Ideologien ungeblendete Vernunft gehört. Denn jede verfehlte Ordnung ist auf dem Weg der Selbstvernichtung, und verfehlt ist die Ordnung, die auf die Dauer den

Menschen verkümmern laßt. Die Fehlordnung vernichtet sich selbst, indem sie ihren eigenen letzten Konsequenzen zuschreitet. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere wäre die Überwindung der Illusionen willkürlich planender Selbstherrlichkeit. Das ist freilich kein politisches Programm, das in einer Revolution von morgen erfüllt werden könnte.

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