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Das harte Los der Abnützung

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Harold Wilson hat es noch einmal geschafft. Die Front in seiner alleinregierenden Labour Party ist in sich zusammengebrochen, die „Bebellen“ sind vorläufig bloßgestellt. Was aber Wilson am letzten Wochenende passierte und woran de Gaulle am vorletzten Wochenende scheiterte, waren Symptome der Abnützung. Abnützung von Regierungen und Spitzenpolitikern, die Alleinverantwortung tragen.Und was Wilson in seiner Partei widerfuhr und de Gaulle in einer Volksabstimmung erleiden mußte, war zum gleichen Zeitpunkt auch in Österreich der alleinregierenden ÖVP unter ihrem Kanzler Dr. Josef Klaus passiert. In Wien hatte die Regierungspartei Österreichs ihre bisher massivste Niederlage seit dem 6. März 1966 einstecken müssen. Ihr Index sank von 100 auf 82.

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Harold Wilson hat es noch einmal geschafft. Die Front in seiner alleinregierenden Labour Party ist in sich zusammengebrochen, die „Bebellen“ sind vorläufig bloßgestellt. Was aber Wilson am letzten Wochenende passierte und woran de Gaulle am vorletzten Wochenende scheiterte, waren Symptome der Abnützung. Abnützung von Regierungen und Spitzenpolitikern, die Alleinverantwortung tragen.Und was Wilson in seiner Partei widerfuhr und de Gaulle in einer Volksabstimmung erleiden mußte, war zum gleichen Zeitpunkt auch in Österreich der alleinregierenden ÖVP unter ihrem Kanzler Dr. Josef Klaus passiert. In Wien hatte die Regierungspartei Österreichs ihre bisher massivste Niederlage seit dem 6. März 1966 einstecken müssen. Ihr Index sank von 100 auf 82.

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Die Alleinverantwortung einer Parte in einem Land ist zu einer ernsthaften Hypothek geworden. Fast überall auf der Welt belasten die Sorgen um die Weiterexistenz Regierungschefs aller alleinverantwortlichen demokratischen Regime. Dabei waren — gleichgültig, wo immer eine Alleinregierung in unserem Gesichtskreis besteht — ihre Entscheidungen, objektiv gesehen, durchaus vernünftig. Ja, man kann kaum einem Wilson oder de Gaulle vorwerfen, nicht reformfreudig zu sein und heiße Eisen anzupacken (Eigenschaften also, die mobile Wählerschaften von ihren Führern wünschen).

Wilson - hat in den letzten Monaten die einzig richtigen Reformmaßnahmen angepackt, um England wieder aus der bestehenden Krise, in der das Land nun schon seit einigen Jahren lebt, herauszuführen:

• Mit der Abwertung des Pfundes bewies Wilson Mut zur Unpopulari-tät und Sinn für Realismus, der dem Prestigedenken Alt-Englands mit der illusionären Pfund-Philosophie ein Ende bereitete;

• er bewies Mut mit harten Breisund Lohnstoppmaßnahmen, die das einzige waren, um Englands Wettbewerbsfähigkeit zu heben und der schleichenden Inflation zu steuern;

• er bewies Konsequenz in seinem Programm des Rückzugs „östlich von Suez“, indem er die Fiktion des Weltreichs aufhob und Englands angespannte Finanzen entlastete;

• und er zeigte die notwendige Härte in der gegenwärtigen Krise, als er das Streikrecht reformieren und damit die Grundstruktur des englischen Gewerkschaftssystems aufheben wollte.

Und dennoch verlor Wilson von Nachwahl zu Nachwahl, von Lokalentscheidung zu Lokalentscheidung. De Gaulle bewies als unangefochtener Chef seiner Gaullistenpartei ebenso Mut, als er nach dem glänzenden Wahlsieg der UDR die Wahlversprechen einzulösen begann:

• Er wollte die Struktur verbessern, indem er ein neues Verhältnis zwischen der Pariser Zentrale und den Departements schaffen wollte;

• und er ging ebenso daran, die Hochschulen umzukrempeln, wie die Unternehmensstruktur in, der Wirtschaft zu reformieren.

Er scheiterte, nachdem zahlreiche Parteifreunde dem Staatschef zugesetzt hatten und die Wähler die Reformpläne nicht guthießen. Auch Josef Klaus sieht sich nach fünf Jahren Regierung, davon drei Jahren der Monokolore, einer wachsenden Front gegenüber. Auch in Österreich erfolgten Reformen, die

— soweit das schon übersehbar ist

— durchwegs positive Auswirkungen brachten:

• Die ÖVP löste bisher das Problem der Wohnungsvergabe und der Neuverteilung der Wohnbaugelder, wodurch der Wohnungsmarkt erstmals flexibler wurde und die Zahl der Wohmunigsuchenden sprunghaft abnahm, während die Zahl der neugebauten Wohnungen stark anstieg;

• die' ÖVP löste den schwelenden Rundfunkstreit der Koalition und erreichte eine Programmverbesserung in den Massenmedien;

• die monokolore Regierung Klaus entschloß sich zu drastischen Budgetmaßnahmen, zu Wachstumsförderung und Strukturreform der Wirtschaft und erreichte, daß das vorjährige Wellental der internationalen Konjunktur nach Österreich nur sanfte Ausläufer schickte.

Es scheint, daß die Wählerschaft in ganz Europa, in der alten englischen Demokratie ebenso wie in der romanischen Generalsrepublik oder der kleinen, jungen Alpenrepublik Österreich, verwandt reagiert. Das Wahlverhalten, beeinflußt durch die Massenmedien, zeigt deutlich, daß Härte, Mut und Konsequenz allein noch nicht beeindrucken. Vielmehr sind die sozialen Gruppen der Wählerschaften doch so sensibel, daß sie den Abbau der „Geschenkdemokratie“ nicht ohne weiteres hinnehmen. So zeigen Analysen der Wahlergebnisse deutlich, daß vor allem Teile der Bauern Salzburgs im März 1969 nicht ÖVP gewählt haben — ebenso wie die kleinen Geschäftsleute in de Gaulles Referendum gegen den Präsidenten stimmten. Dazu kommt, daß die moderne Demokratie dem alleinverantwortlichen Politiker physisch und psychisch alles abfordert und daß in diesem Hetzlauf Übersicht und Ruhe, vor allem aber Zeit zum Überdenken der Taktik-fehlt. Auch ist die Form der Konfrontation durch die Massenmedien oft nicht aufbauend, sondern zum Teil zersetzend — weil der einfache (sowieso apolitische) TV-Kon-sument in den harten Reporter-fragen Schuldsymptome auf Seiten des Politikers zu entdecken glaubt. Schließlich geht Wilsons Krise ebenso wie die Krise de Gaulles und die Krise der ÖVP letztlich auf die Unzufriedenheit des eigenen Parrtei-apparates zurück. Das Unbehagen wird nicht zuletzt aus den eigenen Reihen in die Wählerschaft getragen. So ist es ein offenes Geheimnis, daß viele Funktionäre der ÖVP nach dem 6. März 1966 auf einen „Beutezug“ in den Ministerien, der verstaatlichten Industrie und dem Rundfunk hofften. Doch die sorgenvolle Alleinregierung konnte diese Wünsche und Forderungen der eigenen Formation nicht befriedigen. Es scheint, daß der Lohn der Faulheit fruchtbarer ist als das Los mutiger und unpopulärer Entscheidungen. Im Faulbett der Koalitionen kann man behäbiger fordern und verschenken, mehr taktieren und sogar leichter durch den Proporz zur Befriedigung der eigenen Gruppen beitragen. Vor allem aber kann man Verantwortung und Schuld auf den Partner abschieben. Auch wenn bei diesem Pingpong die Allgemeinheit Schaden nimmt.

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