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Das Volk wird rücksichtslos belogen

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Im Westen wird die Wende in Ungarn noch gelobt. Die Magyaren schweigen schon längst darüber.

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Im Westen wird die Wende in Ungarn noch gelobt. Die Magyaren schweigen schon längst darüber.

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Sicherlich ist der Abbau des „Sozialismus” genannten Zwittersystems in keinem der einstigen Ostblockstaaten so reibungs- und auch hemmungslos vor sich gegangen, wie in dem Donauland. Der herrschende Apparat verstand es lange Zeit glänzend, sich auf eine breite Schient von Technokraten zu stützen, deren Bereicherungsgier zu befriedigen als eines der obersten Prinzipien der Systemerhaltung galt. Auch in der Zeit, als die kommunistischen Politmumien schon längst die Übersicht über die Manipulationen der Technokratenschicht verloren hatten, waren sie noch gewillt, ihr die Genehmigung zur Aufnahme von westlichen Wucherkrediten in Dollarmillionenhöhe zu erteilen. Daß der Großteil dieser Gelder keineswegs vom Apparat verschwendet, sondern von den „Wirtschaftsfachmännern” reingewaschen und im Westen für bessere Zeiten ordentlich veranlagt wurde, wird erst seit der „Wende” sichtbar.

Dem als Wende geltenden Übergang zur Demokratisierung war ein Prozeß finanziellen Charakters vorausgegangen. Nach der Sicherstellung der Vermögen der Technokratenschicht meldete diese bei der Parteiführung Konkurs an und gab dafür den Politmumien die Schuld. In Panik geratene führende und mittlere Funktionäre suchten vergeblich Schutz bei ihren bisherigen Brotgebern - die Kassen waren leer, das Gebot der Stunde hieß „Umori-entierung”. So wurde im Jahre 1988 den alten Führungskräften Schritt für Schritt der Garaus gemacht.

Immer mehr ehrliche, wenn auch naiv denkende Reformkommunisten wurden in die Manege gelassen. Es spricht für sich, daß weder bei den ersten Rürgerversammlungen noch bei der Gründung der neuen Parteien die Frage nach der Wirtschaftskriminalität und ihrer System-immanzenz gestellt wurde. Warum auch. Man durfte ja frei die „Altkommunisten” beschimpfen und die Rehabilitierung der Helden der Revolution von 1956 fordern.

„Keine Hexenjagd”

Indes gewannen die Technokraten die wichtigsten führenden Funktionäre für sich, um in ihrem Namen Verhandlungen mit den Vertretern der chancenreichsten Oppositions-

Jiarteien zu führen. Mit Erfolg, ozsef Antalls Demokratenforum griff sofort zu und erklärte sich im Interesse der Regierbarkeit des Landes zu einem Pakt bereit. Dieser enthielt die Verpflichtung, den gesamten, von den Technokraten geschaffenen Mechanismus zu übernehmen - offiziell sollte er als Rasis des Übergangs zu Marktwirtschaftsstrukturen gelten -, und sich in die Gestaltung der diesbezüglichen Prozesse durch „hemmende Gesetzesvorlagen” in keiner Weise einzumischen.

Führende und mittlere Funktionäre sowie Blutrichter und andere Schergen von größerem und kleinerem Format der Diktatur erhielten die Zusage, „keiner Hexenjagd ausgesetzt zu werden”. Die Vergangenheitsbewältigung sollte mit Worten abreagiert und dann so rasch wie möglich für abgeschlossen erklärt werden. Die christlich-nationale Koalition hielt ihr Wort und ließ sich bei dieser ehrenhaften Aufgabe auch nicht im geringsten davon beeindrucken, daß ihre Politik der Privatisierung von immer mehr westlichen Regierungen mit wachsender Skepsis beobachtet wurde.

Der Nachfolger Antalls, Peter Roross, der sich als gelernter Gastronom auch im Umgang mit der Kor-ruptionswirtschaft hervorragende Kenntnisse erworben hatte, war nicht mehr in der Lage, den inzwischen fest etablierten Strukturen den Kampf anzusagen. Die Tatsache, daß die Verteilung der ertragreichen Teile des einst verstaatlichten - in Wirklichkeit geraubten - Eigentums auf die neu entstandenen Privatbanken, GmbHs et cetera sowohl zu einer Verelendung von breiten Schichten der Revölkerung führte, als auch den Übergang zur Marktwirtschaft verhinderte, ist wieder einmal nur hinter Regierungskulissen diskutiert worden. Nach außen hin begnügte man sich auch weiterhin mit nationalen Parolen und - was genauso verlogen war - mit der Verheißung einer baldigen EU-Integration.

Der „im Interesse der Regierbarkeit des Landes” wissentlich übergangene Normalbürger erlag im Mai des Vorjahres der schnoddrigsten Wahlpropaganda der Sozialisten, denen nichts zu teuer war, um dem Volk eine rasche Erhöhung des Lebensniveaus zu versprechen. Sie hatten dabei allerdings die kräftigste Stütze: die der Technokratenschicht. Ein der Öffentlichkeit wieder sorgsam verschwiegener Pakt beinhaltete dann auch noch die Regierungsbeteiligung des liberalen Rundes

Freier Demokraten, oder aber Technokraten, wie die Partei allgemein genannt wird. Nun ist der Wahlbürger seit Monaten täglich Zeuge erbärmlichster Ausreden von Regierungspolitikern, die für die Nichteinhaltung der Wahlversprechungen der vorangegangenen Koalition die Schuld geben, während Angehörige einer bestimmten Gesellschaftsschicht ungeniert in aller Öffentlichkeit mit ihren astronomisch hohen Einkünften prahlen.

Der Eindruck, man habe sich täuschen, ja sogar auch betrügen lassen, verbreitet sich immer mehr. Viele finden bereits, daß es sich im Grunde um gar keine Politik, sondern lediglich um eine schmutzige Show handelt, um die Geschäftemacherei einiger weniger zu verdecken.

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