6785587-1970_12_01.jpg
Digital In Arbeit

Ein Problem für die Demokratie

19451960198020002020

Es ist ein wesentliches Merkmal der Demokratie, daß sich hier die Opposition verfassungsmäßig verbriefter Rechte erfreut, die es ihr möglich machen, die Politik der Regierung zu kritisieren und Alternativen in Regierungspolitik und der Zusammensetzung der Regierung vorzubereiten und zu propagieren. Unter undemokratischen Regimen ist jegliche Opposition subversiv. Demokratische Regierungen müssen jedoch zwischen legitimer und subversiver Opposition unterscheiden.

19451960198020002020

Es ist ein wesentliches Merkmal der Demokratie, daß sich hier die Opposition verfassungsmäßig verbriefter Rechte erfreut, die es ihr möglich machen, die Politik der Regierung zu kritisieren und Alternativen in Regierungspolitik und der Zusammensetzung der Regierung vorzubereiten und zu propagieren. Unter undemokratischen Regimen ist jegliche Opposition subversiv. Demokratische Regierungen müssen jedoch zwischen legitimer und subversiver Opposition unterscheiden.

Werbung
Werbung
Werbung

Antidemokratische Subversion konfrontiert die Demokratie mit einem Dilemma: Setzt sich eine Demokratie gegen ihre subversiven Feinde nicht zur Wehr, so kann sie ihnen zum Opfer fallen, wie die deutsche Republik von Weimar und die von Kerenski geführte russische Republik. Setzt sich eine Demokratie jedoch allzu vorbehaltlos zur Wehr, so kann sie aufhören, eine Demokratie zu sein. Es ist bezeichnend, daß die unerträglichsten Tyranneien dieses Jahrhunderts jegliche Opposition als „kommunistisch' oder als „faschistisch“ unterdrückt haben. Es ist daher eine Lebensfrage für demokratische Regime, zwischen legitimer und subversiver Opposition zu unterscheiden und die subversive Opposition unschädlich zu machen, ohne die Demokratie als solche in Frage zu stellen.

Demokratie ist verankert in der Grundlage von strikten Bestimmungen bezüglich der Maßnahmen und Handlungen, welche in politischen Konflikten legitim sind. Diese Bestimmungen begrenzen die Mittel, die im Parteienkampf angewendet werden dürfen. Solche Einschränkungen der Mittelanwendung gelten für alle, die politisch tätig sind. Sie sind für

die Regierung und die Opposition bindend.

Subversive Antidemokraten geben sich vor allem durch ihre Bereitwilligkeit zu erkennen, mit der sie illegitime Mittel anwenden, die meist der Erreichung nobler und hoher Ziele dienen sollen. Ihre Subversivi-tät besteht nicht in ihren Zielen als solchen, sondern in der Anwendung illegitimer Mittel.

Selbst die Identifizierung der Feinde der Demokratie löst das Problem nicht, denn-es ist für Demokratien nicht leicht, gegen subversive Gegner mit Mitteln vorzugehen, die entweder lächerlich und unwirksam sind oder aber die Demokratie selbst negieren. Es ist für Subversive meist nicht schwer, die legitime Opposition zu unterwandern. Das führt dann zur Versuchung für Regierende, unter dem 'Vorwand des Schutzes der Demokratie alle Oppositionellen mundtot zu machen und zu unterdrücken.

Dazu kommt, daß sich alle politisch motivierten Gesetzesverletzer von asozialen so unterscheiden, daß reguläre gerichtliche und Polizeimaßnahmen unwirksam werden können. Da die politisch motivierten Gesetzesverletzer meist nicht auf materielle

Gewinne und andere persönliche Vorteile aus sind, werden sie oft auch außerhalb ihrer Anhängerschaft respektiert. Strenge Bestrafung schafft hier bisweilen Märtyrer, die auf junge Idealisten werbend wirken. Milde Strafen binden die Bestraften nur fester an ihre Sache. Dies zum Unterschied von kriminellen Gesetzesverletzern, die kaum vor Gericht auf ihre verbrecherische Tätigkeit stolz sind.

Strafen, die abschrecken, können im allgemeinen in Demokratien nicht verhängt werden — auf keinen Fall zur Unterdrückung von subversiver Opposition. Demokratien können nicht zum Terror greifen und Demokratien bleiben. So sind Maßnahmen wie Sippenhaftung, Folterungen und jegliche Gerichtsbarkeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit mit der Demokratie unvereinbar. Im Zusammenstoß mit antidemokratischer Subversion befinden sich demokratische Regierungen daher zwischen der Scylla von überaus bedrohlichen Feinden und der Charybdis von Verteidigungsmaßnahmen, die die von diesen verteidigte Demokratie selbst negieren könnten.

Die erste Verteidigungslinie der Demokratie liegt auf dem Gebiet der gesetzlich durchsetzbaren Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Mitteln in der freien Meinungsäußerung, wie Verleumdungen, Beleidigungen, bewußte Falschmeldungen sowie das Gutheißen von kriminellen Handlungen. Das Recht der freien Meinungsäußerung dient der Aufdeckung von Tatsachen, dem Aufstellen von Thesen und Theorien, der Formulierung von Programmen und Forderungen, der Interpretation von Entwicklungen sowie der Erwiderung von Angriffen und Anwürfen von Gegnern. Dieses Recht steht allen zu. Doch sind alle, Regierende wie Regierte, im gleichen Maße auch den Geboten unterworfen, welche Mißbräuche der Meinungsäußerung hindern. Es wäre keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn alle Massenmedien, vor allem alle Zeitungen und Zeitschriften, gesetzlich gezwungen würden, nicht nur Falschmeldungen richtigzustellen, sondern darüber hinaus verhalten würden, ihren Lesern gegnerische Standpunkte zu präsentieren — auf die sie ja erwidern könnten. Dies sollte das allgemeine Niveau bei politischen Debatten wesentlich heben und würde die legitime demokratische Presse kaum belasten. Antidemokratische Mentalität würde hier jedoch auf eine harte Probe gestellt werden. Derartige Schutzmaßnahmen wären natürlich anspruchsvoller als einfache Verbote von subversiven Zeitungen und Zeitschriften, jedoch wesentlich heilsamer in jeder Beziehung. Derartige Maßnahmen würden der Demokratie zweifach dienen: Die Notwendigkeit, den gegnerischen Standpunkt zur Kenntnis zu nehmen, würde das Niveau demokratischer Debatte wesentlich heben. Zur gleichen Zeit würde es Leuten mit totalitärer Geisteshaltung schwerer fallen, sich den Argumenten der Gegner zu verschließen. Die verkappte geistige Nachkommenschaft von Lenin und Hitler sollte mit solchen Maßnahmen größere Schwierigkeiten haben als mit Verboten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung