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Ein Warnruf im Chaos

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In seiner jüngsten, im Eugen-Rentsch- Verlag erschienenen kleinen Schrift „Die Krise des Kollektivismus“ gibt Professor Wilhelm Röpke eine Diagnose der geistigen und materiellen Krise Europas. Er stellt damit im Anschluß an seine bisherigen Werke erneut die grundsätzliche Problematik der Neuordnung Europas zur Diskussion Röpke nimmt die Tatsache, daß kollektivistisches Denken in allen Parteien und Sdiichten der europäischen Menschheit wie eine geistige Massenepidemie um sich gegriffen hat, zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen. Er weist darauf hin, daß viele Unternehmer sich überraschend leicht mit der Rolle ab- finden, die ihnen die Planwirtschaft zuweist, und daß überhaupt auch solche Kreise ihr Konzessionen machen, die politisch weit davon entfernt sein sollten. Doch ist eben diese Entwiddung, dieser „säkulare Trend“, wie Dobretsberget es nennt, in dem Augenblick in die entscheidende Phase seines Wirkens eingetreten, in dem der Kollektivismus zeigen sollte, was er kann. In dem Augenblick, da aus Kritik und Opposition Aufbau und konstruktives Wirken werden sollte, war die

Woge des Kollektivismus in ihrer elementaren Wucht gebrexhen.

Mit tiefem Erschrecken beginnen heute führende Sozialisten zu erkennen, daß Freiheit, GleichheitundGerech- tigkeit, die sie erträumten, im Kollektivismus unwiederbringlich zu ersticken drohen. „Sind nicht heute die Länder“, so schreibt Röpke, „um so ärmer, je kollektivistischer sie sind? Und sind sie nicht um so freiheitsfeindlicher?“ Diese aufleuchtende Erkenntnis zeichnet quer durch alle bisher gültigen politischen Fronten eine neue geistige Front, an der sich das Schicksal Europas entscheidet. Röpke unternimmt es, dieses harte, kompromißlose Entweder-Oder mit unübertrefflicher Bildhaftigkeit vor Augen zu führen und schildert den nachstehend in großen Zügen wiedergegebenen Vorgang.

Das Erschrecken über die menschlich und wirtschaftlich verheerenden Wirkungen des totalen, des hundertprozentigen Kollektivismus hat zunächst dessen fünfzigprozentigen, „demokratischen“ Bruder zu neuen Ehren gebracht. Röpke spricht unter dem Hinweis auf die Versuche, Planwirtschaft und Demokratie in einer erträglichen Form zu kombinieren, von einem „freiheitlich durchlüfteten Sozialismus“, den er als einen Weg bezeichnet, auf dem man nicht verharren, auf dem man nur umkehren oder dem Abgrund entgegeneilen könne. Von verschiedenen Seitenpfaden aus haben die europäischen Staaten diesen Weg betreten. Sei es, daß die politischen Kräfte, die einer Änderung der Wirtschafts- und Eigentumsordnung im sozialistischen Sinne zustrebten, durdi die Macht der Tatsachen und der eigenen oder fremden Erfahrungen vor Erreichung ihres Zieles gehemmt wurden, sei es, daß eine falsche Wirtschaftspolitik jene durch Zwangswirtschaft „zurückgestaute Inflation“ heraufbeschwor, die heute das Charakteristikum nahezu sämtlicher europäischer und mancher außereuropäischer Wirtschaften ist. Wo die regulierende Funktion des Marktes aufgehoben ist, bietet sich immer dasselbe Bild: Spannungen, Stauungen, Fehlentwicklungen im gesamten Wirtschaftskörper, zunehmende staatliche Eingriffe, Freiheitsbeschränkungen, Absinken der Leistung und des Lebensstandards, Korruption. Diese Systeme der halben Lösungen und der unlösbaren Halbheiten sind dem unerbittlichen Trommelfeuer der kommunistischen Propaganda ausgesetzt, die, nachdem die Massen durch den Sozialismus an die Richtung eines kollektivistischen Programms gewöhnt wurden, immer noch mehr Kollektivismus verlangt. Der Sog des Abgrundes wird unwiderstehlich. Hier hilft nur ein entschlossenes Zurück.

„Der ,Mittelweg' des gemäßigten Sozialismus bringt also", wie Röpke meint — „die Marktwirtschaft um die Möglichkeit, gegenüber dem Kommunismus ihre wohlstandschaffende Kraft zu beweisen. Er genügt, um eine Volkswirtschaft zu ruinieren, aber nicht um der kommunistischen Demagogie den Wind aus den Segeln zu nehmen.“ Röpke, dessen Skepsis gegenüber allen kollektivistischen Ansätzen und Tendenzen seinem eigenen Eingeständnis nach durch die Erfahrungen der Nachkriegszeit noch verstärkt wurde, lehnt die Möglichkeit eines Mittelweges zwischen Markt- und Planwirtschaft ab. Sein eigener „Dritter Weg“ liegt eindeutig auf der Linie der Marktwirtschaft. Jeder Versuch, zwei einander widersprechende Ordnungsprinzipien der Wirtschaft zu kombinieren, führe zum Chaos. Damit erweise sich die Krise unserer Zeit recht eigentlich als eine Krise des Sozialismus. Röpke weist in diesem Zusammenhang auf die zwei durchaus gegensätzlichen Elemente hin, die im Sozialis.

mus zu einer rein äußerlichen, innerlich immer zwiespältigen Einheit verbunden sind; nämlich ein naturrechtlich-humanitär-liberaL demokratisches und ein antiliberal-machtpolitisch-romantisches Element. „Auf eine so zweideutige und so qualvoll zerrissene Bewegung ist kein innerer Verlaß.“ In dem Bestreben, ihre Zwiespältigkeit zu überwinden, wird sie mit zwingender Konsequenz immer wieder auf jenen Mittelweg gedrängt, der kein Weg ist. Sie findet dabei die willige Partnersdiaft jener Unternehmen, die die scharfe Luft der freien Konkurrenz fürchten und die in einer halben Planwirtschaft so etwas wie eine staatlich garantierte Monopolwirtschaft sehen. Dieser widersinnigen Koalition ist es zuzuschreiben, daß die Versuche, die europäischen Wirtschaften im Zwielicht eines demokratischen Kollektivismus leben zu lassen, nicht sofort zusammenbrechen, sondern zu einem langsamen Siechtum führen.

Der Marshall-Plan, auf den Röpke in seiner Schrift abschließend Bezug nimmt, wird nach seinen Darlegungen nur dann seinen Zweck erfüllen können, wenn die europäischen Staaten die Keimstoffe, nämlich die durch Zwangswirtschaft zurückgestaute Inflation entschlossen aus ihrem Wirtschaftskörper entfernen. Eine Erinnerung, die auch unser Land angeht.

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